Zwischen Anbetung und Verachtung: Ein kurzes Sightseeing durch linke Sichtweisen des »real existierenden Sozialismus«
Rüdiger Mats22.7.24 18:00
Bei McFit dauert es acht Wochen, bis man sich stärker fühlt; in einem T-Shirt mit Hammer und Sichel spürt man den Effekt unmittelbar . Ein affirmativer Bezug auf realsozialistische Geschichte, sei er bloß folkloristisch oder tatsächlich konzeptionell, hat eine untergründige Funktion in der Gegenwart. Er ermöglicht es selbst randständigen Linken, sich in ein Narrativ von Entschlossenheit, Fokus, Effizienz, kurz: Stärke einzuordnen.
Doch auch das entgegengesetzte Bekenntnis, in erster Linie alles ganz anders machen zu wollen als die Realsozialisten, hat Funktionen, die die rein inhaltslogisch bestimmte Analyseebene überschreiten. Noch bevor eine einzige Arbeiterin befreit wurde, ein einziger ruinierter Landwirt im globalen Süden ein Auskommen gefunden hat, erscheint die Negation der politischen Konzepte von KPdSU, SED usw. als emanzipativer, geradezu moralischer Akt, obwohl sie in Wahrheit bloß - folgenlos - am gemütlichen Schreibtisch zuhause stattgefunden hat.
Welche Formen der interessierten Bezugnahme auf den Realsozialismus sind in der gegenwärtigen Linken verbreitet? Welche politischen Folgen hat das? Und wie könnte ein angemessener, produktiver Bezug auf die realsozialistische Geschichte aussehen? Um solche und weitere Fragen geht es in diesem Vortrag.
Rüdiger Mats ist Politikwissenschaftler und Historiker und veröffentlicht ab und zu Analysen zur Geschichte des Realsozialismus und zu anderen linken Themen.