Sinti in der DDR
Katharina Lenski25.7.24 14:00
»Asozialität« hat Konjunktur. Im öffentlichen Sprechen, in den Medien und selbst in der Wissenschaft wird das Wort verwendet. Immer bedeutet es Abwertung und Ausschluss von Menschen, die aufgrund bestimmter Eigenschaften angeblich nicht »dazugehören«. Dabei wird selten gefragt, was sich eigentlich hinter dem Wort verbirgt.
Das hat Tradition. So gehörten bis vor kurzem die im Nationalsozialismus als »Asoziale« Verfolgten zu denen, die nicht als NS-Opfer anerkannt wurden. Rehabilitierungsverfahren verliefen sowohl nach 1945 als auch nach 1989 meist ohne Erfolg, denn die Stigmatisierung sowohl in der Erinnerung als in den Quellen wirkt bis heute.
In der DDR zeigte sich das an der Einführung des Asozialenparagraphen 1968. Dort schloss man (auch) an das Vorbild der Sowjetunion an, wo seit dem Ende des 19. Jahrhunderts so genannte »Parasiten« und »Zigeuner« verfolgt worden waren. Das komplexe Zusammenwirken der repressiven Instanzen, von Polizei, Justiz und MfS mit denen der Fürsorge und der »Bevölkerung« ist bis heute unscharf geblieben.
Sowohl die Sprache der Herrschaftsakten als auch die öffentliche Darstellung im zeitgenössischen Diskurs gehen hinsichtlich der Figur der »Asozialität« meist von einer nicht hinterfragbaren Gruppenzuschreibung aus. Deshalb ist der Begriff als Quellenbegriff auf seine konkrete sowie allgemeine Funktionalität zu untersuchen und mit den spärlichen Selbstaussagen der Überlebenden und Nachkommen zu kontextualisieren.
Im Workshop werden wir auf der Grundlage beispielhafter Quellen den Lebenswegen von Überlebenden nachgehen, die der Gruppe der Sinti und Roma angehörten und davon ausgehend über die Struktur des Stigmas »Asozialität« nachdenken.
Dr. Katharina Lenski arbeitet zur »Asozialität« im 19. und 20. Jahrhundert. Sie promovierte zur Geschichte der DDR-Universitäten im Kontext der Staatssicherheit am Beispiel der FSU Jena und war in Jena Forschungs- und Studienkoordinatorin am Graduiertenkolleg »Die DDR und die europäischen Diktaturen nach 1945«. Von 1991 bis 2011 baute sie das Thüringer Archiv für Zeitgeschichte »Matthias Domaschk« auf, ein Dissidenzarchiv zur DDR, was 2011 den Thüringer Archivpreis erhielt. Vor 1989 gehörte sie zur DDR-Òpposition in Berlin. Zahlreiche Veröffentlichungen u.a. zur Jugendkultur, Wissenschaft und Universitäten, »Asozialität« sowie Sinti in der DDR sind hier zu finden.