»Die Revolution ist Alltagssache«
Syndikalistische Gewerkschaftspraxis in nicht-revolutionären Zeiten
Johanna Reif5.8.23 11:00
1906 wurde in der Charte d’Amiens das Programm des revolutionären Syndikalismus festgehalten. In dieser ist die doppelte Aufgabe der Gewerkschaften bestimmt, die auch Rudolf Rocker immer wieder betonte: Einerseits für die Verbesserung der Lebensverhältnisse der Arbeiter:innen einzustehen und andererseits die Institution des Übergangs und Grundlage für eine künftige Organisation von Produktion und Verteilung zu sein.\
Lange Jahre war es ruhig um die Idee der Gewerkschaft des „horizontalen und revolutionären Typs“. Das scheint sich zumindest ein wenig geändert zu haben: Dafür spricht die diesjährige Kantine >Sabot<. 2018 gründete sich eine neue Internationale Konföderation der Arbeiter:innen (IKA), ein weltweiter Zusammenschluss anarchosyndikalistischer Gewerkschaften. Im Liefersektor kam es europaweit zu unzähligen Arbeitskämpfen mit Unterstützung durch syndikalistische Gewerkschaften. Spätestens seit dem wilden Streik des Gorillas Worker Collective Berlin mit massiver Unterstützung der FAU im Jahr 2021 kann man auch in der bürgerlichen Presse wieder Berichte über die Praxis anarchosyndikalistischer Gewerkschaften lesen.\
Inwiefern ist die aktuelle syndikalistische Praxis noch mit der mehr als 100 Jahre alten Theorietradition verbunden? Inwiefern spiegelt sich die Idee der doppelten Aufgabe der Gewerkschaften in der Praxis und im Denken der heutigen Anarchosyndikalist:innen wider? Und inwiefern kann man in nicht-revolutionären Zeiten diesem Ansatz überhaupt noch treu bleiben? Diesen Fragen geht der Vortrag nach. Betrachtet werden insbesondere die Praxis der FAU im Liefersektor und die der Hochschulgewerkschaft unter_bau.\
Johanna war bis Anfang dieses Jahres mandatiert für das Gewerkschaftssekretariat der Hochschulgewerkschaft unter_bau an der Goethe-Universität Frankfurt a.M. Dort hat sie kürzlich ihren Master in Soziologie abgeschlossen. In ihrer Abschlussarbeit hat sie die Arbeitskämpfe bei Lieferando untersucht.