Kantine »Festival«

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Probleme anarchistischer Staatskritik


Kantine-Crew

2.8.23 13:00

Aufbauend auf den Diskussionen, die wir als Orgacrew zur Vorbereitung auf die Kantine »Sabot« geführt haben, möchten wir uns in diesem Workshop mit euch gemeinsam mit anarchistischen Perspektiven auf den Staat auseinandersetzen. Einerseits ging mit der beharrlichen Kritik an staatlichen Zwängen immer wieder ein wichtiger Impuls vom Anarchismus aus, etwa wenn er gegenüber dem staatlichen Terror in der Sowjetunion die individuelle Freiheit und das Prinzip der Föderation in Stellung brachte. Gleichzeitig erscheint uns dieser zentrale Aspekt der anarchistischen Theorie jedoch als eine ihrer Schwächen. In den klassischen Texten von Bakunin und Kropotkin erscheint der Staat als rein äußerliche Macht: Fokussiert wird allein der repressive Aspekt von Staatlichkeit, in der jede Regierung – in welcher Konstitution auch immer – als ein amorphes Gebilde erscheint, das dazu neigt, seine souveräne Herrschaft mit personeller Gewalt durchzusetzen. In der anarchistischen Theorie ist der Staat nicht das Ergebnis von Interessensgegensätzen und Formen von Vergesellschaftung, sondern umgedreht: alle bestehenden Konflikte scheinen nur durch den Staat verursacht. Dementsprechend braucht es „nur“ die Abschaffung des Staates und damit sind alle Fragen des Übergangs in neue Formen von Vergesellschaftung erledigt. Uns schien zudem, dass zentrale Vorstellungen anarchistischer Gesellschaftsmodelle eine komplexe Arbeitsteilung zurückweisen und es stellt sich die Frage, ob eine entwickelte Ökonomie mit ihnen denkbar ist.

Dies sind jedoch keine fertigen Urteile, sondern eher Eindrücke und Fragen, die wir in unserem Workshop zur Diskussion stellen möchten. Wir wollen Aspekte unserer Diskussion vorstellen und hoffen auf Impulse der Teilnehmenden. Zudem wollen wir mit euch den Text »Thesen zum Staat« diskutieren, den der jüdisch-russische Revolutionär Isaak Steinberg 1921 auf der Parteikonferenz der linken Sozialrevolutionäre vorgelegt hat. Dieser Text kann auch als Versuch gelesen werden, Defizite anarchistischer und marxistischer Staatstheorie jener Zeit zu reflektieren und positiv zu wenden. So scheint uns Steinbergs Position zwischen anarchistischer und marxistischer Staatstheorie bzw. -kritik angesiedelt zu sein.

Ausgehend von seinen Thesen wollen wir gemeinsam mit euch den folgenden Fragen nachgehen: Machen Konflikte und Notwendigkeiten der Planung innerhalb einer sozialistischen Übergangsgesellschaft staatliche oder staats-analoge Strukturen notwendig? Wie kann die Macht solcher Strukturen jedoch beschränkt und Arbeitsrechte wie individuelle Freiheiten garantiert werden? Heißt die Diskussion solcher Fragen notwendig einen Verzicht auf den radikalen Impetus anarchistischer Staatskritik oder kann und muss die Perspektive der Abschaffung des Staates trotzdem aufrecht erhalten werden? Und wenn ja: Welche Aspekte muss ein kritischer Begriff des Staates umfassen?