Akkumulation und Klimakrise [Beitrag aus der Kantine-Broschüre »Hier tanze«]
Jonas FischerIn der heutigen Situation zeigt sich die Endlichkeit natürlicher Ressourcen als Grenze kapitalistischer Akkumulation mit wachsender Dringlichkeit. In ihrer 1913 erschienenen Schrift Die Akkumulation des Kapitals, die ihr für die Auseinandersetzung mit den Marxschen Reproduktionsschemata teils vernichtende Kritik einbrachte, untersuchte Rosa Luxemburg das Verhältnis der Kapitalakkumulation zu Milieus außerhalb der kapitalistischen Produktionsweise, seien es kolonialisierte Gebiete oder bislang kapitalistisch unerschlossene Ressourcen. Jonas Fischer, der in Berlin Sozialwissenschaften studierte, zeigt im folgenden Text Thesen zu möglichen Schlussfolgerungen aus dem Werk Luxemburgs für die Umwelt- und Klimabewegung von heute auf, die er am 09. August 2019 in Chemnitz präsentierte.
Der Klimawandel als gesellschaftliche Frage In der Diskussion um den Klimawandel ist eine starke Tendenz zur Individualisierung zu beobachten. Individuelle Konsumentscheidungen stehen im Fokus; es werden Carbon Footprints kalkuliert, über Selbstversuche in fleisch- und verpackungsfreiem Lebensstil diskutiert, zur Enthaltsamkeit aufgerufen oder gar von »Flugscham« geraunt. Während die grüne Bewegung auf Veränderungen im Konsumverhalten der Individuen setzt und gesellschaftliche Anreizstrukturen verändern möchte, warnen ihre politischen Gegner vor der »Ökodiktatur« und fürchten um ihr Schnitzel. Auf beiden Seiten der Auseinandersetzung gerät die Struktur der Gesellschaft aus dem Blick. Dieser Beitrag soll sich daher gerade dem Verhältnis zwischen gesellschaftlicher Formation und dem Klimawandel widmen und dazu auf Rosa Luxemburgs Die Akkumulation des Kapitals von 1913 zurückgreifen. Luxemburgs Akkumulationstheorie, deren sachlich-ökonomische Richtigkeit bis heute umstritten ist, (1) war kein rein akademisch-wissenschaftliches Werk, sondern als Beitrag zur ökonomischen Erklärung des Imperialismus – so der Untertitel – auch eine politische Streitschrift. Das fein säuberliche Sezieren ihrer Schriften in die ökonomischen auf der einen und die politischen auf der anderen Seite wird ihrer Theorie nicht gerecht (Albo 2016, 36) und soll mit diesem Beitrag in Frage gestellt werden. Nach einem knappen Abriss von Luxemburgs ökonomischen Argumentation soll dieser Beitrag sich deswegen ihrer Methodik und der politischen Implikationen dieser für den Imperialismus und die damalige Sozialdemokratie widmen, um aus diesem Komplex thesenhaft Lehren für den Klimawandel und die politischen Strategien dagegen zu ziehen. Zunächst erfordert die Auseinandersetzung mit der Kapitalakkumulation jedoch ein Zurück zu Marx.
Die Reproduktion des Einzelkapitals bei Marx
Der kapitalistische Prozess von Produktion und Zirkulation besteht auf der Ebene eines einzelnen Unternehmens, auf der Ebene des Einzelkapitals, zunächst aus den drei Phasen: Einkauf, Produktion und Verkauf. In der ersten Phase wird Geld vorgeschossen, um Arbeitskraft im Tausch gegen einen Arbeitslohn und Produktionsmittel (Werkzeuge, Rohstoffe und Hilfsmittel) zu erwerben. Diese beiden Teile des Kapitals – variables Kapital (die Arbeitskraft) und konstantes Kapital (die Produktionsmittel) – treffen in der Phase der Produktion aufeinander. Dabei stellt diese Phase zunächst einen Arbeitsprozess dar, in dem die Arbeitskraft mit Hilfe der Werkzeuge, Hilfsmittel und Rohstoffe ein neues Produkt – eine vorher nicht dagewesene Stofflichkeit – erschafft. Ebenso findet jedoch ein Verwertungsprozess statt; das vorgeschossene Geldkapital verwertet sich, indem es – verwandelt in variables und konstantes Kapital – einen Mehrwert hervorbringt. Im Verwertungsprozess geben Rohstoffe ihren Wert vollständig und Hilfsmittel und Werkzeuge ihren Wert zum Teil an das zu fertigende Produkt ab. Die Arbeitskraft jedoch, die im Produktionsprozess beschäftigt ist, schafft neuen Wert, der im Produkt ihrer Tätigkeit vergegenständlicht ist. Dieser neu geschaffene Wert ist dabei nach Marx größer als der Wert der Arbeitskraft selbst – größer als der Arbeitslohn, den das Unternehmen für die Arbeitskraft zahlen musste. Diese Differenz bildet den Mehrwert, die Keimform des unternehmerischen Profits, und gehört nicht den Arbeiter_innen sondern den Kapitalist_innen, obwohl diese ihn weder hervorgebracht noch in Form von Arbeitslöhnen vorgeschossen haben. Wenn es nun gelingt, die produzierten Waren ihrem Wert gemäß zu verkaufen, ist der kapitalistische Produktionsprozess abgeschlossen. Diese Differenz bildet den Mehrwert, die Keimform des unternehmerischen Profits, und gehört nicht den Arbeiter_innen sondern den Kapitalist_innen, obwohl diese ihn weder hervorgebracht noch in Form von Arbeitslöhnen vorgeschossen haben. Wenn es nun gelingt, die produzierten Waren ihrem Wert gemäß zu verkaufen, ist der kapitalistische Produktionsprozess abgeschlossen.
»Der Arbeiter selbst produziert daher beständig den objektiven Reichtum als Kapital, ihm fremde, ihn beherrschende und ausbeutende Macht, und der Kapitalist produziert ebenso beständig die Arbeitskraft als subjektive, von ihren eignen Vergegenständlichungs- und Verwirklichungsmitteln getrennte, abstrakte, in der bloßen Leiblichkeit des Arbeiters existierende Reichtumsquelle, kurz den Arbeiter als Lohnarbeiter. Diese beständige Reproduktion oder Verewigung des Arbeiters ist das sine qua non der kapitalistischen Produktion.« (MEW 23, 596)
Dieser Prozess der Reproduktion des Kapitals auf gleichbleibender Stufenleiter – die einfache Reproduktion, bei der der Umfang des Produktionsprozesses über die Zeit konstant bleibt – ist zunächst eine bloß theoretische Vorarbeit für den nächsten Schritt. Denn in der empirischen Wirklichkeit gibt es keine einfache kapitalistische Reproduktion, sondern jedes Einzelkapital versucht Teile des Gewinns zu reinvestieren, um zu wachsen. In der Konkurrenz mit anderen Kapitalen verspricht sich jedes einzelne von ihnen aus dieser Reinvestition einen Vorteil. Aus dem Vorteil durch Reinvestition wird in der Konkurrenz ein Zwang zur Reinvestition. Luxemburg erklärt diesen Zwang folgendermaßen:
»Die kapitalistische Produktionsweise schafft nicht bloß im Mehrwerthunger des Kapitalisten die treibende Kraft zur rastlosen Erweiterung der Reproduktion, sondern verwandelt diese Erweiterung geradezu in ein Zwangsgesetz, in eine wirtschaftliche Existenzbedingung für den Einzelkapitalisten. Unter der Herrschaft der Konkurrenz besteht die wichtigste Waffe des Einzelkapitalisten im Kampf um den Platz auf den Absatzmarkt in der Billigkeit der Waren. Alle dauernden Methoden zur Herabsetzung der Herstellungskosten der Waren [...] laufen aber auf eine Erweiterung der Produktion hinaus. Ob es sich um Ersparnisse an Baulichkeiten und Werkzeugen handelt oder um Anwendung leistungsfähigerer Produktionsmittel oder um weitgehende Ersetzung der Handarbeit durch Maschinen oder um rapide Ausnutzung einer günstigen Markkonjunktur zur Anschaffung billiger Rohstoffe – in allen Fällen hat der Großbetrieb Vorteile vor dem Klein- und Mittelbetrieb.« (Luxemburg 1975, 18)
Die Kapitalist_innen sind also bestrebt, den Umfang ihrer Produktion zu vergrößern, um eine größere Masse an Mehrwert produzieren zu können. In der Konsequenz können sie nicht den vollständigen Mehrwert, den jeder Produktionsprozess periodisch abwirft, zur individuellen Konsumtion verwenden. Sie teilen den Mehrwert in den Revenue zur individuellen Konsumtion und in den Teil des Mehrwertes, der auf das ursprüngliche Kapital aufgeschlagen werden soll. Diese Rückverwandlung des Mehrwerts in Kapital bezeichnet Marx dabei als die Reproduktion auf erweiterter Stufenleiter oder auch Akkumulation. Im Akkumulationsprozess produziert das Kapital nicht nur einen Mehrwert, sondern es produziert mehr Kapital. Genauso reproduziert es nicht nur die Trennung zwischen Arbeiterklasse und Kapitalistenklasse, sondern es lässt die Arbeiterklasse wachsen, während auch die Größe der Einzelkapitale wächst (MEW 23, 641).
Die Reproduktion des gesellschaftlichen Gesamtkapitals bei Marx
Die Untersuchungen Marx’, die im vorhergehenden Kapitel kurz dargestellt wurden, erklären jedoch noch nicht die Prozesse von Reproduktion und Akkumulation auf der Ebene einer ganzen Volkswirtschaft, der Ebene des gesellschaftlichen Gesamtkapitals. Dazu ist es notwendig, die Akkumulationsprozesse der Einzelkapitale zu einem Ganzen zusammenzufassen – ohne jedoch bloß additiv vorzugehen und das komplexe Geflecht von Konkurrenz und Produktionsketten auszublenden:
»Die Kreisläufe der individuellen Kapitale verschlingen sich aber ineinander, setzen sich voraus und bedingen einander, und bilden gerade in dieser Verschlingung die Bewegung des gesellschaftlichen Gesamtkapitals.« (MEW 24, 353-354)
Auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene stellt sich die Frage der (ökonomischen) Reproduktion in einer ganz neuen Qualität. Hatten wir bisher schlichtweg angenommen, dass das Einzelkapital Arbeitskraft und Produktionsmittel auf dem Markt vorfindet und auch seine gesamte produzierte Warenmasse ohne Probleme absetzen kann, stellt sich nun die Frage, woher dieses Angebot und diese Nachfrage denn kommen sollen, unter welchen Umständen sie gesichert sind und unter welchen Umständen nicht. Dabei spielt auch die stoffliche Qualität der Produktionsmittel und Waren sowie die Qualifikation der Arbeiter_innen eine wichtige Rolle. Ein Sägewerk wird Holz einkaufen und ausgebildete Holzarbeiter_innen anheuern müssen, um zu funktionieren und kann mit Gießer_innen genauso wenig anfangen wie mit Rohöl. Genauso muss eine Nachfrage für Holzbalken und -bretter bestehen, wenn das Sägewerk sich selbst reproduzieren will und nicht nur eine Nachfrage nach irgendeiner Ware. Damit erhält das Problem der Reproduktion des gesellschaftlichen Gesamtkapitals eine Komplexität und einen Umfang, der kaum zu bewältigen ist. Allein die Produktionskette des recht simplen Produkts Bleistift nachzuvollziehen – von der Rohstoffextraktion (Graphit-Mine und Forstwirtschaft) über die Weiterverarbeitung (Sägewerk und Brennerei) mit den logistischen Zwischenschritten bis zum Einzelhandel –, scheint ein seitenfüllendes Vorhaben. Marx schlägt deshalb im zweiten Band des Kapital vor, anstatt Industriezweige, -branchen oder gar einzelne Unternehmen zum Ausgangspunkt zu nehmen, das gesellschaftliche Gesamtkapital in lediglich zwei Abteilungen zu unterteilen (MEW 24, 394). Die erste Abteilung produziert Produktionsmittel (Rohstoffe, Zwischenprodukte und Werkzeuge etc.), die zweite Abteilung produziert Konsumtionsmittel (Wohnhäuser, Nahrung, Kleidung etc.). (2) Es stellt sich folglich die Frage, unter welchen Ausgangsbedingungen die beiden Abteilungen die Gesamtheit ihrer in einem Produktionsprozess produzierten Waren absetzen können und durch diesen Prozess des Absatzes ihre eigenen Ausgangsbedingungen wieder vorfinden können. Diese Ausgangsbedingungen sind zum einen die Produktionsmittel, die ersetzt werden müssen, zum anderen die Arbeitskraft, die erneut eingekauft werden muss. Zur Beantwortung dieser Frage zieht Marx die berühmt-berüchtigten Reproduktionsschemata (MEW 24, 505-514) als illustrierende mathematische Modelle heran, die hier nicht in ihrem vollen Umfang besprochen werden sollen; begrenzen wir uns auf die Ergebnisse seiner Untersuchung. Bei gegebenem Verhältnis von variablem und konstantem Kapital sowie produziertem Mehrwert müsse unter der Annahme einfacher Reproduktion (der gesamte Mehrwert wird als Revenue verzehrt) ein bestimmtes Größenverhältnis der beiden Abteilungen sichergestellt werden, damit weder Probleme im Einkauf noch im Verkauf auftreten müssen. Die von Abteilung I jährlich (3) produzierten Produktionsmittel müssen dabei die Summe des eingesetzten konstanten Kapitals beider Abteilungen ersetzen. Die von Abteilung II jährlich produzierten Konsumtionsmittel hingegen müssen die Summe der von beiden Abteilungen gezahlten Arbeitslöhne (das variable Kapital) und der von beiden Abteilung produzierten und abgeschöpften Mehrwertmenge ersetzen, so dass sich am Ende eines Jahres die ökonomischen und sozialen Voraussetzungen wiederherstellen. Die Einzelkapitale der beiden Abteilungen können nur mit Hilfe dieser Gleichsetzung ihr gesamtes Produkt auf dem Markt realisieren und damit gleichzeitig die Voraussetzungen ihrer Produktion – dass Produktionsmittel und Arbeitskraft in ausreichender Menge auf dem Markt zu finden sind – sicherstellen.
Wenn sich Marx ausgehend von diesem Punkt der Reproduktion auf erweiterter Stufenleiter widmet, dann wird das ganze Problem noch einmal deutlich komplizierter. Es muss nun für jedes Jahr aufs Neue gezeigt werden, wie die Sicherstellung des Absatzes der Produktionsmittel mit der Wiederherstellung der Produktionsbedingungen zusammenfällt. Der produzierte Mehrwert der beiden Abteilungen muss jetzt in den Revenue und den zur Reinvestition bestimmten Mehrwert aufgeteilt werden, dabei muss die Reinvestition erneut in variables und konstantes Kapital aufgespalten und zusätzlich gezeigt werden, dass auch Arbeitskraft und Produktionsmittel für den Einsatz dieser Reinvestition auf dem Markt vorhanden sind. Am Ende all dieser Probleme bleibt Marx bei der Frage stehen, wo denn die immer größeren Mengen an Geld herkommen, die diese erweiterte Reproduktion ermöglichen, und beantwortet diese Frage recht ungelenk durch den Auftritt des Goldgräbers ex machina (MEW 24, 487; Müller 2002, 88–89; Luxemburg 1975, 279).
Luxemburgs Kritik an Marx
Luxemburg hingegen transformiert diese Frage nach dem Ursprung des Geldes, die den Marxismus bis dahin beschäftigte und sich inzwischen in meterlangen Bücherregalen niedergeschlagen hat: Sie fragt stattdessen nach dem Ursprung der Nachfrage, die notwendig ist, um eine ständig wachsende gesellschaftliche Produktion realisieren zu können (Müller 2002, 90). Sie wendet sich dazu zunächst der technischen Gestalt des Akkumulationsprozesses zu. Diese technische Gestalt ist nicht statisch, sondern ständigen Revolutionen der Produktionsmethoden ausgesetzt. Mit der Vergrößerung des Einzelkapitals und dem wissenschaftlichen Fortschritt werden immer ausgefeiltere Produktionsmethoden entwickelt, die immer weniger Arbeitskraft benötigen, dafür aber auf umfangreichere Produktionsmittel angewiesen sind. Die Erfindung der Dampfmaschine, die Einführung des Fließbandes, die Verwendung von Rechenmaschinen und Computern und die derzeit immer umfangreicher werdende Steuerung der Produktion und Distribution durch Algorithmen sind Beispiele dafür, wie der wissenschaftliche Fortschritt sich in einer immer größeren Bedeutung der Produktionsmittel und einem schwindenden Anteil der menschlichen Arbeitskraft niederschlägt. Aber auch abseits dieser großen technischen Fortschritte findet die gleiche Bewegung im Kleinen in jedem wachsenden Einzelkapital statt. Wo im Kleinbetrieb noch auf simple Werkzeuge zurückgegriffen wurde, wird es im Verlaufe seines Wachstums immer profitabler komplexere Maschinen und Maschinensysteme einzusetzen und auf Automatisierung zurückzugreifen, um so das gewohnte Produkt billiger produzieren zu können als zuvor. Im Einzelbetrieb, in einzelnen Produktionszweigen und in Hinblick auf das gesellschaftliche Gesamtkapital wird so – stofflich und dem Wertverhältnis nach – die Größe des konstanten Kapitals im Laufe der Akkumulation stärker zunehmen als die Größe des variablen Kapitals. Marx nennt diesen Prozess das Wachstum der organischen Zusammensetzung des Kapitals (MEW 23, 640): Konstantes und variables Kapital wachsen, das konstante wächst allerdings in einem höheren Maße. Da durch die Veränderung im Binnenverhältnis des kapitalistischen Produktionsprozesses der Anteil der Arbeitskraft, der notwendig ist, um eine bestimmte Masse an Waren zu produzieren, sinkt, bedeutet das Wachstum der organischen Zusammensetzung des Kapitals auch eine Zunahme der Produktivität der Arbeit.
Diese Bewegung in der organischen Zusammensetzung des Kapitals, die im Marxschen Kapital eine durchaus prominente Position einnimmt, (4) bleibt jedoch in seinen Reproduktionsschemata komplett ausgeblendet. »Dieses Verfahren«, kommentiert Luxemburg die Marxsche Auslassung, »ist an sich, zur Vereinfachung der Reproduktion, behufs Vereinfachung der Analyse, vollkommen zulässig.« (Luxemburg 1975, 285) Es ist jedoch in diesem konkreten Falle unmöglich, die Veränderung der organischen Zusammensetzung des Kapitals nach der Konstruktion der Schemata in die Analyse einzubeziehen, ohne die Schemata komplett verwerfen zu müssen. Denn durch die Steigerung der organischen Zusammensetzung des Kapitals entstehen Disproportionalitäten, die im Rahmen der Schemata nicht aufzulösen sind. Angenommen, Abteilungen I und II verdoppeln in einem bestimmten Zeitabschnitt ihren Umfang, so wird nun eine doppelt so große Menge an Produktions- und Konsumtionsmitteln produziert. Wenden wir uns nun der Verdopplung des produktiven Kapitals zu, das diese verdoppelte Produktmasse, dieses verdoppelte Warenkapital, produzieren soll, sehen wir, dass sich konstantes und variables Kapital nicht symmetrisch verdoppeln können. Durch den technischen Fortschritt hat sich das konstante Kapital mehr als verdoppelt, während das variable Kapital sich nicht verdoppelt hat. In Bezug auf die Produktionsmittel sehen wir also eine Nachfrage, die das Angebot übersteigt. In Bezug auf die Konsumtionsmittel tritt die Disproportionalität genau umgekehrt auf, weil zwar doppelt so viel Angebot besteht, aber keine verdoppelte Nachfrage, da die Arbeitslöhne langsamer gewachsen sind als die Menge der produzierten Konsumtionsmittel. Um das Defizit an Produktionsmitteln und den Überschuss an Konsumtionsmitteln auszugleichen, müssten die beiden Abteilungen in unterschiedlichem Tempo akkumulieren und wachsen. Nach einigen Versuchen, diese Disproportionalität zu integrieren, schlussfolgert Luxemburg:
»Wie wir also immer die technische Verschiebung der Produktionsweise im Fortgang der Akkumulation ins Auge fassen, sie kann sich nicht durchsetzen, ohne die grundlegenden Beziehungen des Marxschen Schemas aus den Fugen zu bringen.« (ebd., 291)
Luxemburg tritt von dieser Erkenntnis ausgehend zunächst einen Schritt zurück und betrachtet die Voraussetzungen der Marxschen Schemata. Dort stößt sie auf Marx’ Annahme der allgemeinen und ausschließlichen Herrschaft der kapitalistischen Produktionsweise. Aufgrund dieser Annahme kommen die Schemata überhaupt mit nur zwei Klassen (aufgeteilt auf zwei Abteilungen) aus; sie nehmen eine Gesellschaft an, in der es keine nicht-kapitalistischen Weltregionen, Produktionsweisen und produzierenden sowie konsumierenden Klassen gibt, sondern nur Arbeiter_innen und Kapitalist_innen. Diese Vereinfachung sei aber – so Luxemburg – sowohl theoretisch für die Unfähigkeit der Schemata, mit der Veränderung in der organischen Zusammensetzung des Kapitals umzugehen, ausschlaggebend als auch empirisch nicht zu halten. Die kapitalistische Produktionsweise entwickelte sich immer schon im nicht-kapitalistischen Milieu und in diesem Milieu liegt auch der Schlüssel zur Lösung des Problems der Disproportionalität.
Das nicht-kapitalistische Milieu, zum Beispiel die Kolonien, bilden erstens einen Absatzmarkt, der die Realisierung des immer wachsenden Mehrwertes erlaubt. Luxemburgs Beispiel sind die Opiumkriege (1839-1843 und 1856-1860), in denen England aufgrund militärtechnischer Überlegenheit das chinesische Kaiserreich – ohne größere Verluste zu verzeichnen – dazu zwang, den eigenen Markt für das durch die British East India Company hergestellte Opium zu öffnen (ebd., 335-342). Die Kolonien der imperialistischen, europäischen Staaten dienten diesen allgemein dazu, den unvermeidlichen Überschuss der Konsumtionsmittel abzusetzen und in Geld zurück zu verwandeln. Im Gegenzug waren die Kolonien – und das stellt die zweite Funktion des nicht-kapitalistischen Milieus dar – billige Lieferanten für Rohstoffe und Ressourcen, die halfen, den steigenden Bedarf an Produktionsmitteln zu decken. Erst durch die Ausbeutung der natürlichen (und menschlichen) Ressourcen durch die imperialistischen Mächte war es diesen möglich, die durch die technische Verschiebung des Produktionsprozesses erzeugte immens steigende Nachfrage nach Produktionsmitteln zu stillen. Die dritte Funktion besteht in der ständigen Rekrutierung zusätzlicher Arbeitskraft aus dem nicht-kapitalistischen Milieu der Kolonie oder des imperialistischen Landes selbst.
Luxemburgs Kritik an Marx holt das nicht-kapitalistische Außen in die Analyse des Innenlebens der kapitalistischen Produktionsweise hinein, indem sie zeigt, dass das Außen nicht wirklich außerhalb des Kapitalverhältnisses steht, sondern eine »direkte Lebensbedingung für das Kapital und seine Akkumulation« (ebd., 314) darstellt:
»Die kapitalistische Produktion ist von Anbeginn in ihren Bewegungsformen und -gesetzen auf die gesamte Erde als Schatzkammer ihrer Produktivkräfte berechnet. In seinem Drange nach Aneignung der Produktivkräfte zu Zwecken der Ausbeutung durchstöbert das Kapital die ganze Welt, verschafft sich Produktionsmitteln aus allen Winkeln der Erde, errafft oder erwirbt sie von allen Kulturstufen und Gesellschaftsformen.« (ebd., 307)
Indem die kapitalistische Produktionsweise zum Zwecke der Akkumulation aber mit dem nicht-kapitalistischen Milieu in Stoffwechsel tritt, wird dieses Milieu selbst kapitalisiert. Die nicht-kapitalistischen Produktionsweisen werden vernichtet und durch kapitalistische Unternehmungen ersetzt (Brie 2016, 269). Die Tage des glücklichen Wachstums der Ökonomien der imperialistischen Staaten sind für Luxemburg gezählt. Der Imperialismus ist die notwendige Ausdrucksform des kapitalistischen Akkumulationszwanges in einer sich verschärfenden zwischenstaatlichen Konkurrenz (Luxemburg 1975, 391):
»Je mehr kapitalistische Länder aber an dieser Jagd nach Akkumulationsgebieten teilnehmen und je spärlicher die nichtkapitalistischen Gebiete werden, die der Weltexpansion des Kapitals noch offenstehen, um so erbitterter wird der Konkurrenzkampf des Kapitals um jene Akkumulationsgebiete, umso mehr verwandeln sich seine Streifzüge auf der Weltbühne in eine Kette ökonomischer und politischer Katastrophen: Weltkrisen, Kriege, Revolutionen.« (Luxemburg 1975, 430)
Methodisches und Politisches
Luxemburg kritisierte die Marxschen Reproduktionsschemata, was ihr vernichtende Rezensionen der Marxisten ihrer Zeit einbrachte, die übersahen, dass Luxemburgs Marxkritik ganz im Sinne des Marxschen Werkes war. Sie hat die zentrale Marxsche Idee der Steigerung der organischen Zusammensetzung des Kapitals in die theoretische Analyse der Kapitalakkumulation einbezogen und diesen Komplex mit den ihr gegenwärtigen ökonomischen und politischen Entwicklungen vermittelt. Ihre Revision der Marxschen Reproduktionsschemata trägt letztlich selbst zum Marxschen Gedanken bei, dass im Fortschreiten der kapitalistischen Produktionsweise die Produktivkräfte und die Produktionsverhältnisse in Widerspruch zueinander geraten (Luxemburg 1975, 292; 1975, 519; siehe auch MEW 25, 253–255). Dies inspirierte den marxistischen Philosophen Georg Lukács, dem Luxemburg eine Lehrmeisterin des Marxismus gewesen ist (5), einen näheren Blick auf die Methodologie von Marx, Luxemburg und Luxemburgs Kritikern zu werfen (siehe auch Seidel 2002, 50). Demnach liegt der Schlüssel zum Verständnis der Marxschen Methode in dem Begriff der konkreten Totalität (Lukács 1970, 94, siehe auch Park 2016, 7). Der Begriff Totalität bezeichnet nicht das bloß additive Zusammentragen von Fakten und Gesetzen, sondern es geht Lukács um die inneren Zusammenhänge der Verhältnisse, Bewegungen und Prozesse der kapitalistischen Produktionsweise – um ihre Vermittlung. Es ist die Gesamtheit der Vermittlungen, die dann die Totalität ausmacht. Indem Luxemburg die organische Zusammensetzung des Kapitals in die Frage der Akkumulation einbezieht, nimmt sie den Gesamtprozess kapitalistischer Gesellschaften in den Blick und versucht nicht ihren Untersuchungsgegenstand von diesem Gesamtprozess zu isolieren. Lukács schlussfolgert, »dass dementsprechend Rosa Luxemburg nichts anderes getan hat, als das Fragment von Marx in seinem Sinne zu Ende zu denken und seinem Geiste gemäß zu ergänzen« (Lukács 1970, 100). Ihre Kritiker hingegen haben eine genau entgegengesetzte Methode. Marx’ Methode gilt ihnen weniger als seine Ergebnisse, denen überhistorische Richtigkeit unterstellt wird. Während Luxemburgs Kritiker mit ihrem Beharren auf Marx’ letztlich historische Ergebnisse Dogmatismus betreiben, ist Luxemburgs methodische Treue im positiven Sinne orthodox.
Ihre Kritiker versuchen, die Akkumulation gewissermaßen im luftleeren Raum, ohne Vermittlung auf den Gesamtprozess oder die empirischen Phänomene ihrer Zeit zu analysieren. Dies folge nach Lukács der Methode der Vulgärökonomie (6) und nicht der Marxschen, die von dem Denken in Vermittlungen lebt. Demnach kommen auch Luxemburg und ihre Kritiker zu vollkommen verschiedenen Schlüssen in Bezug auf die Stellung der Akkumulation innerhalb des Gesamtprozesses. Während Otto Bauer in seiner Rezension der Akkumulation des Kapitals schlussfolgert, dass »[n]ach unserer Ansicht […] der Kapitalismus auch ohne Expansion denkbar« (Bauer 1913, 874) sei, stellt der expansive Imperialismus für Luxemburg eine notwendige Phase des Kapitalismus dar und darf analytisch nicht isoliert werden.
»Die Anerkennung der Akkumulationsfrage bedeutet aber die Anerkennung, daß diese ›schlechten Seiten‹ mit dem innersten Wesen des Kapitalismus unzertrennlich verbunden sind; sie bedeutet demzufolge, daß Imperialismus, Weltkrieg und Weltrevolution als Entwicklungsnotwendigkeiten erfaßt werden müssen.« (Lukács 1970, 108)
Diese methodische Differenz zwischen Luxemburg und ihren innerparteilichen Kritikern ist jedoch keine rein theoretische Frage, sondern »zwischen dem Erfassen, der Art der Behandlung der theoretischen Probleme und der Praxis politischer Parteien besteht auf größeren Strecken stets der engste Zusammenhang«, so Luxemburg (Luxemburg 1975, 517). Auch Lukács sieht einen Zusammenhang zwischen der Methode der Vulgärökonomie und dem politischen Opportunismus – ein Vorwurf, der sich zum Beispiel gegen Otto Bauer (Wortführer des marxistischen Zentrums in der SPD) und Eduard Bernstein (bekanntester Vertreter des reformistischen Flügels der SPD) richtete. Deren Auffassung der imperialistischen Expansion als ein der kapitalistischen Akkumulation äußerliches Phänomen äußerte sich in ihrer Politik:
»Diese Auffassung zielt dahin, die Phase des Imperialismus nicht als historische Notwendigkeit, nicht als entscheidende Auseinandersetzung um den Sozialismus zu betrachten, sondern als boshafte Erfindung einer Handvoll Interessenten. Diese Auffassung geht dahin, der Bourgeoisie einzureden, daß der Imperialismus und Militarismus ihr selbst vom Standpunkt ihrer eigenen kapitalistischen Interessen schädlich sei, dadurch die angebliche Handvoll der Nutznießer dieses Imperialismus zu isolieren und so einen Block des Proletariats mit breiten Schichten des Bürgertums zu bilden, um den Imperialismus zu ›dämpfen‹, ihn durch ›teilweise Abrüstung‹ auszuhungern, ihm ›den Stachel zu nehmen‹!« (ebd., 521)
Diese Politik des Klassenkompromisses gegen den Imperialismus führte letzten Endes zur Kapitulation der Sozialdemokratie (Park 2016, 11). Sobald der Deutsche Kaiser klarstellte, er kenne keine Parteien mehr, nur noch Deutsche, ergriff die opportunistisch geprägte SPD die Chance, endlich nicht mehr als vaterlandslose Gesellen gelten zu müssen, beim Schopfe, stimmte den Kriegskrediten zu, schloss die Kriegsgegner aus ihrer Fraktion aus und betrieb die Burgfriedenpolitik des imperialistischen Systems. Die opportunistische »Utopie eines historischen Kompromisses zwischen Proletariat und Bourgeoisie zur ›Milderung‹ der imperialistischen Gegensätze zwischen kapitalistischen Staaten« (Luxemburg 1975b, 522) wich der offenen Unterstützung des Imperialismus selbst.
Die Klimafrage
Luxemburg erschien die räumliche Grenze kolonialistischer Eroberung als Wachstumsgrenze des Kapitalismus. Heute scheint die Kommodifizierung der Natur eine stetig näher rückende Grenze der Akkumulation darzustellen (Dörre 2016, 242) – in dem Doppelsinn, dass sowohl die natürlichen Ressourcen endlich sind und die durch die kapitalistische Produktion entstehenden Umweltfolgen (Ausstoß von Treibhausgasen, Produktion von Müll, Entwaldung, Trockenlegung, Verwüstung etc.) drastische Folgen haben (werden). Aus Luxemburgs methodischen und politischen Überlegungen und den darauf folgenden Auseinandersetzungen können wir somit versuchen, Lehren für eine Umwelt- und Klimabewegung heute zu ziehen. Dies soll anhand von drei Thesen geschehen:
I.Die »schlechten Seiten« der kapitalistischen Produktion sind nicht vom Kapitalismus abzutrennen.
Bündnis 90/Die Grünen schreiben in ihrem Programm: »Wir wollen die Wirtschaft ökologisch modernisieren, denn Nicht-handeln wird teurer als mutiges Vorangehen. [...] Der Wettbewerb um die besten Lösungen zur Bekämpfung der Klimakrise spornt uns an, neue und bessere Technologien zu entwickeln.« (7) In dieser Betrachtungsweise scheinen die Zerstörung von Umwelt und Klima und die kapitalistische Produktionsweise ein rein äußerliches, quasi zufälliges Verhältnis einzugehen. Es gibt diesem Verständnis nach schlichtweg umweltzerstörende (Kohle, industrielle Landwirtschaft) und umwelterhaltende (Windkraft, Bio-Landwirtschaft) Unternehmen und Geschäftszweige. Die Klimaschädlichkeit der gegenwärtigen kapitalistischen Wirtschaft wird einzig ihren Produktionsmethoden zugeschrieben und die Tatsache, dass der Kapitalismus mit Photovoltaik, Windkraft, Brennstoffzellen und Elektroautos auf seine eigene Krise reagiert, als Beleg dafür angeführt, dass die Produktionsverhältnisse, in denen diese technologischen Entwicklungen stattfinden, gleichgültig sind. Vom Akkumulations-, also Wachstumszwang möchte diese Auffassung nichts wissen. Gemeinhin wird ein jährliches Wirtschaftswachstum von ungefähr drei Prozent als ›gesund‹ angesehen. Dass solch eine Rate des Wirtschaftswachstums eine Verdoppelung der Wirtschaft alle 25 Jahre bedeutet, wird geflissentlich ausgeblendet. Gerade im expansiven und externalisierenden Akkumulationszwang des Kapitals liegt jedoch die Vermittlung zwischen der kapitalistischen Produktionsweise und der Umwelt- und Klimazerstörung, die wir derzeit erfahren.
II. Die Umweltzerstörung ist nicht ausschließlich das profitable Geschäft einer Handvoll.
Luxemburgs Leistung liegt unter Anderem gerade in der Erkenntnis, dass der Imperialismus nicht nur für die unmittelbar in ihn verwickelten Kapitale ein unermesslich profitables Geschäft darstellt, sondern dass sich darüber hinaus in der Expansion und Kommodifizierung vorher nicht-apitalistischer Milieus, Regionen und Rohstoffe der Akkumulationszwang des gesellschaftlichen Gesamtkapitals ausdrückt. Somit war das gesamte ökonomische System auf den Imperialismus angewiesen, nicht nur wenige Einzelkapitale, und die Strategie der Opportunisten von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Ein Isolieren der Profitinteressen Weniger schleicht sich auf ganz ähnliche Weise auch bei dem ansonsten recht wegweisenden Bündnis Ende Gelände ein. In einem ihrer Mobilisierungsschreiben wird der Zusammenhang von Klimawandel und kapitalistischer Produktionsweise in aller Klarheit thematisiert: »In einem Wirtschaftssystem, das auf unendlichem Wachstum und der Ausbeutung von Ressourcen basiert, werden wir die Klimakrise nicht stoppen.« (8) Dieser Teil der Argumentation fehlt jedoch in der Kommunikation mit Anwohner_innen einer Aktion des zivilen Ungehorsams – stattdessen wird hier auf das Profitinteresse großer Kohleunternehmen verwiesen: »Unser Protest richtet sich gegen Konzerne wie die LEAG, die mit Klimazerstörung Profite machen [...].« (9) Das ganz unmittelbar umweltvernichtende Profitinteresse großer Kohleunternehmen steht nicht in Frage und besonders die Durchlässigkeit staatlicher Institutionen gegenüber diesen partikularen Profitinteressen ist politisch zu bekämpfen. Dass darüber hinaus, in einer vermittelten Art und Weise der kapitalistische Gesamtprozess in seiner (selbst)zerstörerischen Tendenz von der Klimazerstörung lebt, sollte jedoch nicht vergessen werden.
III. Ökologische Frage und Klimafrage sind Klassenfragen.
Vice versa ist nicht zu vergessen, dass es nicht bloß ein abstraktes System des Kapitalismus gibt, das die natürlichen Grundlagen des gesellschaftlichen Seins untergräbt, sondern auch konkrete Profiteure. Das bedeutet, dass die Klimafrage als Klassenfrage zu behandeln ist. Nicht nur der Ausstoß von Treibhausgasen ist extrem ungleich zwischen ärmeren und reicheren Staaten und innerhalb dieser Staaten zwischen ärmeren und reicheren Bevölkerungsteilen verteilt. Auch die bereits eintretenden Klimafolgen treffen überdurchschnittlich den Globalen Süden und – in egal welcher Weltregion – es sind die lohnarbeitenden Teile der Bevölkerung, die ohne finanzielle Sicherungsnetze am verletzlichsten dastehen. Vor tausenden, mit Privatjets eingeflogenen Führungseliten der Weltwirtschaft ein ›Wir‹ zu beschwören, wie es Greta Thunberg 2019 in Davos versucht hat, kann deswegen nur begrenzte Wirksamkeit zeigen. Stattdessen muss eine Politik gefunden werden, die Klimafrage und Klassenfrage zusammen denkt. Das würde zunächst auf einer ganz konkreten Ebene bedeuten, Gesetzesvorschläge, wie den der CO2 -Steuer, die auf den Schultern der Lohnarbeitenden die Rettung des Klimas versprechen, strikt abzulehnen. Langfristig muss das Ziel die Abschaffung der Klassengesellschaft und die Herstellung einer global vergesellschafteten Reichtumsproduktion sein. Erst mit diesem Schritt wären die gesellschaftlichen Voraussetzungen geschaffen, in ein vernünftiges und nachhaltiges Stoffwechselverhältnis mit der Natur zu treten.
Anmerkungen
(1) Siehe den Beitrag von Markus Winterfeld in diesem Band
(2) Dabei ist es nicht zwangsläufig die stoffliche Qualität der produzierten Waren, die entscheidet, ob sie Produktions- oder Konsumtionsmittel sind, sondern ihre gesellschaftliche Verwendung. Wenn
eine Bäckerei Mehl einkauft, um daraus Brot zu backen und dieses zu verkaufen, handelt es sich bei diesem Mehl um ein Produktionsmittel. Sollte ich allerdings Mehl kaufen, um mir selbst ein Brot zu backen, wird das gleiche Mehl dadurch zum Konsumtionsmittel.
(3) Als zeitliche Vergleichsgröße ein Jahr zu wählen, ist eine recht willkürliche Entscheidung von mir. Die Größenverhältnisse können auch innerhalb jeder anderen Zeitspanne verglichen werden.
(4) Das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate zum Beispiel speist sich aus genau dieser Steigerung der organischen Zusammensetzung des Kapitals (vgl. MEW 25, 221-277).
(5) Auch wenn Lukács Luxemburg in der Beurteilung der russischen Revolution aus einer praktischen Perspektive widerspricht (Lukács 1970b), betont er ihren methodischen Einfluss auf sein Denken mit Nachdruck, wenn er sie als einzigen »Schüler von Marx«, bezeichnet, »der sein Lebenswerk sowohl im sachlich-ökonomischen wie im methodisch-ökonomischen Sinne wirklichweitergeführt und in dieser Hinsicht an den gegenwärtigen Stand der gesellschaftlichen Entwicklung konkret angeknüpft hat« (Lukács 1970a, 50; siehe auch Opitz 2002, 239).
(6) Als »Vulgärökonomen« bezeichnete Marx beispielsweise John Stuart Mill und Jean-Baptiste Say, die im Gegensatz zu den ökonomischen Klassikern Adam Smith und David Ricardo keinerlei Erkenntniszuwachs zu bieten haben, da sie analytisch auf der Ebene des Einzelkapitals verweilen und zudem die Erscheinung mit dem Wesen einer Sache verwechseln.
(7) Bündnis 90/Die Grünen: »Wir machen Deutschland zum Vorreiter beim Klimaschutz.« www.gruene.de/themen/klimaschutz, aufgerufen am11.02.2020.
(8) Ende Gelände: »Ende Gelände ruft auf zum globalen Klimastreik und Blockaden am 20.09. und den Tagen danach.« www.ende-gelaende.org/news/ende-gelaende- ruft-auf-zum-globalen-klimastreik-und-blockaden-am-20-09-und-den-tagen-danach/, aufgerufen am 11.02.2020.
(9) Ende Gelände: »Liebe Menschen in der Lausitz.« www.ende-gelaende.org/news/liebe-menschen-in-der-lausitz/, aufgerufen am 11.02.2020.
Literatur
Albo, Greg (2016): Rosa Luxemburg and Contemporary Capitalism. In: Judith Dellheim/Frieder Otto Wolf (Hg.): Rosa Luxemburg. A Permanent Challenge for Political Economy. London, 25–54.
Bauer, Otto (1913): Die Akkumulation des Kapitals. Rezension. In: Die Neue Zeit, 31/1, 831–838, 862–874.
Brie, Michael (2016): A Critical Reception of Accumulation of Capital. In: Judith Dellheim /Frieder Otto Wolf (Hg.): Rosa Luxemburg. A Permanent Challenge for Political Economy. London, 261–303.
Dörre, Klaus (2016): Limits to Landnahme. Growth Dilemma as Challenge. In: Judith Dellheim/Frieder Otto Wolf (Hg.): Rosa Luxemburg. A Permanent Challenge for Political Economy. London, 219–260.
Lukács, Georg (1970 [1921]): Rosa Luxemburg als Marxist. In: Georg Lukács, Geschichte und Klassenbewusstsein. Studien über marxistische Dialektik. Darmstadt und Neuwied, 94–118.
Ders., (1970a [1922]): Vorwort. In: Georg Lukács, Geschichte und Klassenbewusstsein. Studien über marxistische Dialektik. Darmstadt und Neuwied, 49–57.
Ders., (1970b [1922]): Kritische Bemerkungen über Rosa Luxemburgs ›Kritik der russischen Revolution.‹ In: Georg Lukács, Geschichte und Klassenbewusstsein. Studien über marxistische Dialektik. Darmstadt und Neuwied, 422–452.
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Ders. (1982 [1893]): Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Zweiter Band: Der Zirkulationsprozeß des Kapitals. In Karl Marx/Friedrich Engels, Werke (MEW), Band 24. Berlin: Dietz. (zitiert MEW 24)
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Opitz, Antonia (2002): Georg Lukács und Rosa Luxemburg. In:Klaus Kinner/Helmut Seidel (Hg.): Rosa Luxemburg. Historische und aktuelle Dimensionen ihres theoretischen Werkes.Berlin, 238–247.