Kantine »Festival«

Elfenbeinturm Mit Diskolicht [Beitrag aus der Kantine-Broschüre »Hier tanze«]


Kantine-Crew

Im Zuge der Entstehung dieses Sammelbandes trafen sich fünf Personen, die zu verschiedenen Zeitpunkten an der Kantine mitgewirkt haben, um gemeinsam über das Zustandekommen des Theoriefestivals, die Erfahrungen währenddessen sowie über Sinn und Unsinn des Projekts zu sprechen. Auszüge aus diesem Gespräch drucken wir hier ab. Für die bessere Lesbarkeit haben wir sie teilweise neu angeordnet.

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Entstehungsgeschichte

A: Auch wenn ich praktisch schon zur ersten Generation gehöre, würde ich gerne mal wissen, wie das damals eigentlich entstanden ist.

B: Nach meiner Erinnerung saßen wir alle ziemlich bedröppelt im Wohnzimmer, vielleicht zu fünft, sechst, siebt, manche waren betrunken, andere waren gerade dabei, sich zu betrinken. Dabei kam der Gedanke auf, dass wir leider alle gar nicht mehr hier in Chemnitz wohnen, aber dass es schön ist, uns zu sehen, und dass wir etwas machen sollten, um einen Grund zu haben, uns und unsere Freunde und Freundinnen zu sehen. Das ist, glaube ich, der Ursprung.

C: Meine erste Motivation war, dass wir zusammenkommen. Ich konnte mir mit den Menschen um mich herum sehr gut vorstellen, etwas zu planen, um in Kontakt zu bleiben, mich mit Themen auseinandersetzen, über ein ganzes Jahr, bis dann im Sommer dieser Peak kommt, in dem wir das Projekt realisieren.

B: Hattest du da schon eine Vorstellung im Hinterkopf, ein Vorbild, das dich zu der Idee inspiriert hat?

C: Das kann ich nach vier Jahren gar nicht mehr so konkret sagen. Ich glaube allein schon dadurch, dass die Infrastruktur dort gegeben war mit dem Subbotnik (1) und seinem Gelände, das zu dem Zeitpunkt noch gar nicht so belebt war, hatten wir etwas, das wir bespielen wollten. Dann hat sich das ein bisschen verselbstständigt durch Karl-Marx-Stadt (2), durch den Nischl (3), wegen des 200-jährigen Jubiläums und der Bewerbung der Stadt auf den Titel der Kulturhauptstadt. Da dachten wir, wir könnten anknüpfen und ein bisschen Money generieren. Wir haben ziemlich gutes Stadtmarketing betrieben. Man müsste uns eigentlich für den Titel danken (lachen).

A: Ich finde ja, diese Kantine geht eine groteske Symbiose mit der Stadt ein. Es ist nicht so, dass es weit hergeholt ist, dass die Kultur in Chemnitz – bis auf die Hochkultur vielleicht – teilweise ein schweres Leben hat. Und auch beim Thema ›Kulturhauptstadt‹ ist immer wieder die Frage hochgekommen: »Wie kann Chemnitz Kulturhauptstadt werden, wenn hier überhaupt keine Kultur ist?« Und dann kommen wir daher und uns fällt das, nach meiner Erinnerung, relativ leicht, etwas auf die Beine zu stellen.

Themen

C: Im ersten Jahr ist das ja offensichtlich, wieso wir Marx wählten. Beim zweiten Jahr, soweit ich mich erinnere, war es auch offensichtlich: Da ging es dann um Geschlechter. Wir hatten einen Typen, jetzt wollen wir eine weibliche Person haben. Und ich glaube, da haben wir dann einfach sehr pragmatisch recherchiert und auch wieder nach Jubiläen und Todestagen gesucht.

A: Ja, bei Rosa Luxemburg ging es relativ schnell. Mir ist in Erinnerung geblieben, dass Luxemburg die Person war, die mir zuvor am wenigsten gesagt hat – auch wenn sie natürlich allen irgendwie etwas sagt –, die aber wirklich sehr viel hergegeben hat. Es ging nicht nur um Rosa Luxemburg, sondern auch um die Arbeiter_innenbewegung des letzten Jahrhunderts. Das fand ich ziemlich spannend.

E: Das mit Walter Benjamin hat sich auch ergeben, einmal weil es das Jubiläum seines Todestages war und dann, weil es in dieser Dreierfolge ganz gut gepasst hat, nach Marx und der Arbeiter_innenbewegung mit Kritischer Theorie weiterzumachen.

Theoriefestival

D: Könnt ihr euch noch daran erinnern, wie es zu dem Namen »Kantine« und zu dem Begriff »Theoriefestival« kam?

C: Mir ist der Name eingefallen. Ich bin irgendwann nachts wach geworden und dachte so: »Kantine! Das würde doch eigentlich zum Gebäude passen.« Und warum nicht? Eine Kantine, in der man sich trifft und sich begegnet, sich austauscht, quatscht, was isst, was trinkt.

A: Etwas, das uns die letzten Jahre immer wieder beschäftigt hat, ist diese Mischung zwischen Zerstreuung – dass man die Kantine als Freizeitmoment erlebt und sich auch gerne mal gehen lässt, einfach mal die Arme von sich streckt – und dem Anspruch, fundierte Theoriearbeit zu machen. Es ist schwierig, ein Gesamtpaket zu konstruieren, sodass Leute Lust haben, sich eine ganze Woche irgendwo aufzuhalten, ein ›Festivalfeeling‹ bekommen und gleichzeitig auch die Sache ernst nehmen.

E: Bei der Feedbackrunde der diesjährigen Kantine, als wir alle besoffen in den Stühlen hingen, war

jemand da, der auch schon bei der Kantine »Marx« war. Er hat das Feedback gegeben, dass er deutlich merkt, dass es etwas mit dem Lustprinzip zu tun hat, wie diese ganze Geschichte abläuft. Dass es darum geht, es sich einfach schön zu machen und zu genießen. Eine andere Person hat das mir gegenüber anders formuliert: Wir machen uns unnötig viel Arbeit mit den Details, um es liebevoll zu gestalten. Aber ich glaube, es funktioniert auch nur deshalb so gut, weil man sich eben nicht nur wie bei einer akademischen Konferenz darum kümmert, ein gutes Programm auf die Beine zu stellen, sondern ein Gesamtpaket machen will. Deswegen auch »Theoriefestival«. Das hebt es vielleicht auch ein bisschen von anderen Sachen ab.

C: Wenn man sich so einen Tag auf der Kantine oder die ganze Woche anschaut, ist es ein Tag, an dem du dir die ganze Zeit Theorie, irgendwelche Konzepte voll auflädst und am Abend ist wieder Ekstase und du tanzt es dir wieder raus – oder du kotzt es dir wieder raus. Dann geht es wieder von vorn los, Tag für Tag. Irgendwie ist es voll schön, dann Gesichter wieder zu sehen und zurückzudenken an gestern Abend und dann wieder Anschluss zu finden an einen Vortrag.

D: Ich frage mich, was das mit dem Lustprinzip immer soll, was E gerade angesprochen hat - warum das so entgegengesetzt wird. Warum darf man keinen Spaß haben, wenn man sich zu einer Konferenz trifft? Ich kenne das Gefühl ja auch, aber ich frage mich, woher das kommt. Natürlich, weil die Themen schwer sind und weil es um krasse Ereignisse geht. Aber ist es überhaupt ein sinnvoller Antagonismus, den man da aufmacht?

E: Aus meiner Perspektive geht es nicht darum, dass Theorie etwas sein sollte, was ernst ist und wozu man sich durchringen muss. Aber meistens erfährt man das ja so, weil es sehr viele Räume gibt, in denen man Theorie nicht als Selbstzweck oder aus Interesse machen kann, sondern wo es – wie an der Uni – an Leistung geknüpft ist; natürlich gibt es da auch ganz viele Normen und Konventionen, wie man sich zu verhalten hat. Zum Beispiel, dass man einem bestimmten akademischen Habitus entsprechen oder immer möglichst schlau rüberkommen muss. Natürlich gibt es ganz viele Möglichkeiten, an Theorie ranzugehen und das so zu gestalten, dass es für alle zugänglich ist und man sich gemeinsam etwas erarbeiten kann und Spaß dabei hat. Aber das ist etwas, worum man sich aktiv kümmern muss: So einen Kontext erstmal herzustellen, einen Raum, in dem das so abläuft.

Elfenbeinturm

A: Die Frage ist ja, ob das ein Elfenbeinturm ist, in dem wir uns bewegen. Ist die Kantine ein Elfenbeinturm mit Diskolicht?

E: Teilweise haben wir diesen Vorwurf bekommen und das auch nicht völlig zu Unrecht, würde ich sagen.

B: Ja, und immer mehr, je »professioneller« die Auswahl der Themen ist. Je mehr darauf geachtet wird, wie man bewirbt und wen man einlädt.

D: Wie könnte man das lösen? Und muss man das überhaupt lösen?

A: Es ist ja nicht so, als ob es die Räume nicht gäbe, die nichts mit einem Elfenbeinturm zu tun haben und wo man auch Punk sein kann. Um nochmal auf Chemnitz zurückzukommen: Es ist schon komisch, dass man sich diesen Elfenbeinturm gerade in Chemnitz schafft, anstatt in Räumen, in denen man wahrscheinlich viel mehr Leute hat, die das besuchen und interessant finden, beispielsweise in Leipzig oder Berlin.

D: Ich finde Elfenbeintürme überhaupt nicht schlimm, ich glaube, sie können sehr wichtig sein. Wir leben in einer Gesellschaft, in der die Menschen nicht gleich sind – was auch immer Gleichheit bedeuten mag -, in der es bestimmte Antagonismen gibt. Ich glaube, wenn man sie in dem Sinne auflöst, dass man sagt: »Das ist ein Elfenbeinturm und deswegen darf man das nicht mehr machen«, dann stellt man sich eher selbst ein Bein, als dass man etwas Sinnvolles bewirkt. Es geht in einem gewissen Maße um die Vermittlung zwischen den Polen – sonst wäre es wirklich sinnlos, aber wenn man das Feld der Ideen, der Kritik usw. bleiben lässt wegen der Widersprüche, die sich darin befinden, wäre das ein Problem. Wir haben hier die Theorie ein bisschen runtergespielt – als würde man sich nicht mit politischen Theoretiker_innen beschäftigen wollen. Für mich ist das im Umkehrschluss ein Grund dafür, dieses Festival zu machen. Zu sagen: »Ich bin mir dieser Widersprüche bewusst« – zum Beispiel auch, dass es hier Leute gibt, die die Küfa [Küche für alle] machen, die das vielleicht auch nervt, was wir hier machen, die es aber trotzdem machen.

Politischer Anspruch

D: Was ist denn eigentlich die Motivation, das zu machen? Es ist schließlich oft sehr viel Arbeit. Was wollt ihr persönlich? Und was will vielleicht die ganze Gruppe?

A: Ich beantworte das gern ganz eigennützig: Mir bringt das am meisten. Ich persönlich versuche immer viel mitzunehmen von der Kantine, halte mich daher auch gerne mal ein bisschen raus aus der Themenfindung und freue mich, wenn es jemand wird, zu dem ich noch nicht so viel Vorwissen habe. Das erweitert dann den eigenen Horizont.

C: Wie wir auch eingangs gesagt haben: Ich hatte Bock auf die Menschen, mit ihnen Zeit zu verbringen und weitere Menschen kennenzulernen. Ich weiß gar nicht, was ich inhaltlich aus der Kantine mitgenommen habe. Ich war immer eher mit anderen Dingen beschäftigt, sei es Spaß haben oder Organisationsgeschichten, so dass alle sich wohlfühlen um mich herum. Ich habe eher fragmentarisch einzelnen Vorträgen, Workshops oder dem Abendprogramm beigewohnt.

Ich fand es cool, dass so verschiedene Gruppen aus Chemnitz daran teilgenommen haben, zum Beispiel um die Küfa-Strukturen zu stemmen. Ich hatte da so einen Moment: Ich stehe im Saal, an der Essensausgabe. Hinter mir wird das Essen eben zubereitet, vor mir wird ein akademisch hochwertiger wissenschaftlicher Vortrag gehalten. Auf einmal ertönt im Hintergrund Oidorno mit »Halt die Fresse, ich will saufen«. Ich musste so lachen, einfach weil es dieser Aufprall, dieser ›Clash‹ war. Und ich dachte »Yes!«. Ich fand das immer ziemlich schön.

D: E, was war deine Motivation, im dritten Jahr einzusteigen?

E: Ich fand es einfach so schön und ich glaube, es war der gleiche Eigennutz, den A auch schon beschrieben hat. Wenn ich auf die Kantine »Benjamin« zurückschaue, habe ich sehr viel gelernt in dieser Woche und große Lust, mich mit Benjamin weiter zu beschäftigen. Dafür hat es sich schon gelohnt. Ich kann mich erinnern, als wir angefangen haben, die Ausgabe zu Benjamin zu planen, war ich ein bisschen unzufrieden und habe mich gefragt, was der politische Outcome der ganzen Geschichte ist, ob es überhaupt einen gibt. Und ob man nicht, wenn man schon so viele Leute zusammenbringt, den Anspruch haben sollte, an politisch drängenden Fragen zusammen zu arbeiten, Leute zu Organisierung anzustoßen etc. Diese Frage beschäftigt mich auch abseits von der Kantine immer wieder: Wozu macht man eigentlich Theorie? Was hat das mit Politik, mit politischer Praxis zu tun? Gibt es überhaupt eine Verbindung oder ist das am Ende eigentlich nur ›Selbstbespaßung‹? Man kann sich natürlich auch fragen, ob Selbstbespaßung eigentlich so verkehrt ist, wenn sie in so einem Rahmen passiert, der versucht, für möglichst viele Leute offen zu sein und ob das nicht auch einfach ein Wert an sich ist.

D: Selbstbespaßung – das klingt fast ein bisschen fatalistisch, dein Urteil.

A: Ich würde bei der Selbstbespaßung gerne bleiben, weil mich das auch beschäftigt. Ich glaube, es hat immer einen politischen Anspruch – darum auch die Personen, die wir in den Mittelpunkt stellen, teilweise auch Personen, die keine große Rolle mehr spielen in linken Debatten und linker Theoriebildung – sich überhaupt diesen Problematiken zu stellen, sich sozusagen extern zu schulen und diese theoretischen Perspektiven mit aufzunehmen, ohne unbedingt aktuelle politische Fragen unmittelbar in den Raum zu stellen.

B: Es ist doch immer politisch. Die Auswahl der Leute ist politisch – der Themen, der Menschen, die referieren und der Leute, die man anspricht. Der Kontakt, den ich auch danach noch mit Leuten habe – das ist auch eine Form von Organisation. Ich komme gerade nicht so richtig mit, wo hier das Unpolitische sein soll. Es geht um Organisation, es geht auch um den Ort und da spielt Chemnitz tatsächlich eine zentrale Rolle. Was habe ich neulich gehört? »Deutschland ist ein Schwarzer Tee und Chemnitz ist der Bodensatz davon – die braune Soße, die unten dranhängt.« Das stimmt, und es geht darum, nette Menschen hierherzuholen und zu sagen: »Hey Leute, hier kriegt ihr eine 50qm-Butze für 200€, hier habt ihr Raum, Sachen zu machen und hier gibt es nette Leute.«

C: Schon wieder Stadtmarketing.

B: Und es geht darum, für diejenigen, die hier sind, einen Raum zu schaffen. Da kommst du ins Subbotnik und denkst: »Wow, hier ist es warm, hier hörst du Sachen, die du sonst nicht hörst. Da ist doch noch jemand, mit dem du dich identifizieren kannst.« und dann denkst du, »na, bleibe ich eben hier« und fragst dich: »Wow, bin ich wirklich noch in dieser ›Tristesse de Beton‹?«

Zukunftsaussichten

A: Wo seht ihr die Kantine im nächsten Jahr und darüber hinaus? Eine klassische Frage für Bewerbungen, aber sie ist wichtig, um dabeizubleiben.

E: Ich habe ein bisschen Angst, dass wir uns zu sehr professionalisieren und dann unsympathisch werden. Uns und allen anderen. Das ist nur so ein diffuses Gefühl. Auf der Ebene der Themen könnte es passieren, dass es zu akademisch wird und man auf einmal relativ viele Leute verliert, die zur linken Szene in Chemnitz gehören und gerne im Subbotnik sind – dass die sich dann denken, »was will ich auf der Kantine« und es sich immer mehr auf ein überregionales Publikum verlagert.

A: So negativ sehe ich das gar nicht. Ich meine mit Professionalisierung auch das, was du meinst, aber auch so etwas wie: »Wie kriege ich die Leute regional zu uns?« Dazu gehören auch die Leute, die das schon fast wieder zu akademisch finden. Also bräuchte es eine Professionalisierung in der Didaktik, beispielsweise. Auch dieses Jahr gab es wieder den Kritikpunkt, dass es zu wenig Einführungsvorträge und -workshops gab. Professionalisierung sehe ich auch darin, mehr Geld ausgeben zu können und mehr Möglichkeiten zur Gestaltung zu haben.

D: Kann Professionalisierung nicht auch in einem positiven Sinne bedeuten, dass man bestimmte Prozesse vereinfacht und sich weniger stressig macht? Für mich meint Professionalisierung gar nicht, dass man es macht wie eine Firma. Ich glaube, das Problem mit dem Begriff ist, dass viele Sachen in der Arbeitswelt einfach nur funktionalistisch sind und es gar nicht um den konkreten Inhalt geht – es geht dann darum, eine sinnvoll koordinierte Struktur zu haben. Und das ist zumindest eine Angst, die ich dabei verstehen kann: Dass man über der Organisation, die immer besser wird, den Bezug zu dem konkreten Inhalt verliert, für den man organisiert. A: Ich würde, um von diesem Begriff der Professionalisierung wegzukommen, sagen, dass die Kantine gewachsen ist. Wenn ich das diesjährige Festival mit dem letztjährigen vergleiche, ist es in vielerlei Hinsicht gewachsen: In der Professionalität viel leicht, aber auch in der Routine, in den Teilnehmendenzahlen, in den Connections und Netzwerken, die wir hatten – wir hatten Leute vom Radio da, wir hatten Leute aus Österreich da – das spricht jetzt wiederum für die Überregionalisierung. Nichtsdestotrotz finde ich das schön. Mir gefällt das total, wenn Leute, die von weit her kommen, davon hören und uns direkt darauf ansprechen. Das ist für mich schon ein Punkt, wegen dem ich sage: »Es lohnt sich, das Festival weiter zu betreiben.«

Schönster Moment

A: Der beste Moment des Festivals war eigentlich im ersten Jahr, 2018. Zum Teil wusste ich gar nicht, worauf ich mich da einlasse, wenn dieses Festival endlich läuft. Es waren damals auch nicht so viele Leute da wie in den letzten zwei Jahren. Da war der schönste Moment, als alle nach einem Vortrag draußen gemeinsam auf der Lesebühne saßen und einfach noch weitterdiskutiert haben. Sie haben nicht aufgehört, bis der nächste Vortrag angefangen hat. Praktisch alle saßen in der Sonne, es waren 30 Grad draußen und trotzdem haben die Leute sich nicht in den Schatten gesetzt, sondern erst einmal weiter über Karl Marx gesprochen. Man konnte sich dazusetzen oder auch nicht, aber eigentlich saßen alle dabei und haben wenigstens zugehört, auch wenn sie nicht am Gespräch beteiligt waren. Das fand ich sehr schön. Da dachte ich : »Genau deswegen habe ich dieses Festival mitorganisiert.«

B: Ein ganz spezieller Moment war der letzte Abend der Kantine »Marx«, als die Band Ravetology gespielt hat. Die sollten eigentlich im großen Saal auftreten, aber da hatten wir dann keine Anlage und dann wurde innerhalb einer gefühlten halben Stunde – das war natürlich mega stressig – eine Party in der Berni (4) organisiert. Das fand ich ziemlich geil. Das war der Spirit, den ich so aus Chemnitz kannte: Wir wollen jetzt eine Party und müssen das alles selbst organisieren. Die Leute sind da, – es kommen auch noch ein paar dazu – und dann wird das gemacht. Und eine halbe Stunde später steht es und man kriegt gar nicht mit, wie sehr man selber im Arsch ist und wie auf wändig das war. Solche Momente feiere ich – wo Leute zusammen etwas machen möchten und es dann hinkriegen. Das ist vielleicht die Sache, die schwierig mit der Theorie zu vereinen ist, weil man bei Theorie schon erst einmal Vorleistung bringen muss. Das widerspricht sich meines Erachtens ein bisschen. Eigentlich aber auch nicht, wenn, wie A erzählt, nach den Vorträgen Runden entstehen, in denen die Leute miteinander quatschen und weiterspinnen – dann ist es genau das, dann ist es dasselbe wie: »Ich kümmere mich jetzt noch um eine Anlage, weil ich eine Party will.« So etwas finde ich sehr schön. Spontane selbstorganisierte Sachen, die ich sehr stark mit der Kantine verbinde. Da gibt es viele Momente, die im Nachhinein aber auch dazu beigetragen haben, dass ich so große Augenringe habe, die man nur sieht, wenn ich die Brille hochnehme.

Anmerkungen

(1) Das Subbotnik ist ein soziokulturelles Zentrum in Chemnitz-Bernsdorf. Dort findet die Kantine statt.

(2) Chemnitz hieß von 1953 bis 1990 Karl-Marx-Stadt.

(3) Das heute für Chemnitz so charakteristische Karl-Marx-Monument ist eine 7,1 m hohe und ca. vierzig Tonnen schwere Plastik, die den Kopf von Karl Marx stilisiert (Nischel, Nischl = Kopf).

(4) An der Organisation des Festivals beteiligtes Hausprojekt, nahe am Subbotnik gelegen.