Kantine »Festival«

Ankündigung Kantine »Zone« 22.-28.07.2024

// 31.1.24

Wer sich heute positiv auf den Kommunismus bezieht, kommt nicht an der Geschichte des Realsozialismus vorbei. Es ist wichtig, sich damit auseinanderzusetzen, warum die historischen Versuche, den Sozialismus praktisch zu verwirklichen, scheiterten. Wenn wir eine andere Zukunft ermöglichen wollen, können wir diese Geschichte nicht einfach abtun, indem wir sagen: "Nein, nein, das war nicht der Kommunismus!", sondern müssen uns mit den Mechanismen, Wirkungsweisen & Konsequenzen auseinandersetzen, die diese Vergangenheit ermöglicht haben.

Wir beobachten eine Krise und Orientierungssuche der gegenwärtigen Linken, in der auch eine Hinwendung zu autoritären Modellen der Organisierung wieder zunimmt. Sympathien für realsozialistische Staaten nehmen deren Widersprüche und Repressionsapparate oft nicht ausreichend ernst. Das Bedürfnis, sich damit auch von einem bürgerlichen Narrativ abzugrenzen, das die DDR & andere realsozialistische Erfahrungen rundherum abwertet und die darin gemachten Erfahrungen unbesehen verwirft, erscheint nachvollziehbar, greift aber zu kurz.

Mit der Kantine »Zone« bleiben wir dabei, uns eine Woche lang mit einem Thema anstatt einer einzelnen Person zu beschäftigen. Wir sind uns bewusst, dass der Begriff »Zone« in diesem Zusammenhang häufig abfällig verwendet wird und eine Geringschätzung ausdrückt. Dennoch haben wir uns für diesen Titel entschieden. Denn spiegelt sich doch darin gut die Wahrnehmung sowohl der DDR als auch des heutigen »Ostdeutschlands«, das häufig als rückständig, demokratieunfähig und hilfsbedürftig bewertet wird. In teilweise sehr scharfem Kontrast dazu muss die »Zone« auch als sozialistische Projektionsfläche herhalten – sowohl bei Linken als auch bei der »Früher-war-alles-besser«-Fraktion (Stichwort »Ostalgie«). Wir wollen das Kantine-Festival dazu nutzen, hinter die Klischees und Abwertungen zu blicken, die über die DDR häufig im Umlauf sind und einen Beitrag zu einer differenzierten Auseinandersetzung jenseits von Schwarz-Weiß-Darstellungen leisten.

Eine selbstbestimmte, demokratische Regelung von Produktion und Verteilung durch die Produzent:innen selbst, die freie Beratung über ein Gemeinwesen, in dem sich die Individuen möglichst umfassend entfalten können – das war die DDR in jedem Falle nicht.

Die DDR kann als ein Ergebnis der Katastrophengeschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gesehen werden: Emanzipatorische Perspektiven und alternative Wege waren zerstört und verschüttet durch die Frontstellungen von westlichem Kapitalismus, Nationalsozialismus und Stalinismus. Der Zweite Weltkrieg hat die Arbeiter:innenbewegung zerstört, versprengt, in die Flucht getrieben. Die Geschichte der DDR ist von Anfang an auch von diesen Niederlagen bestimmt.

Die Auseinandersetzung mit der DDR soll für uns unter dem Vorzeichen stehen, immer noch auf der Suche zu sein, wie eine Vergesellschaftung jenseits von Kapitalismus und Autoritarismus aussehen kann. Dafür ist es notwendig, historische Erfahrungen wie die Geschichte der DDR zu verarbeiten. Die Frage, wie sich dieses System so weit von dem entfernen konnte, was wir unter einem demokratischen und freiheitlichen Sozialismus vorstellen, ist zentral für uns.

Die Geschichte der DDR ist nicht ohne die Geschichte der Sowjetunion und des Ostblocks zu verstehen. Die Sowjetunion entstand aus der ersten erfolgreichen proletarischen Revolution – der Oktoberrevolution von 1917. Dieser Versuch, der als Beginn der Weltrevolution gedacht war, blieb jedoch auf ein Land beschränkt. Die internationalistische Perspektive wurde abgelöst von der Doktrin des »Sozialismus in einem Land« (Stalin), die marxistische Ökonomiekritik wurde zum Lehrgebäude und Legitimationsideologie des Marxismus-Leninismus und einem Versuch, die marx'schen Analysekategorien als positive Anleitung für eine zentralistische Planwirtschaft zu verwenden. Die Aussicht auf Selbstverwaltung der Produzent:innen wurde ersetzt durch Personenkult, Bürokratismus und Zentralismus. Diese Formierungen sollten auf eine Hälfte Deutschlands übertragen werden – traf dort nach 1945 jedoch auf ganz andere historische und ökonomische Ausgangsbedingungen.

In der öffentlichen Debatte wird die DDR häufig von ihrem Ende her gedacht und ist darüber hinaus darauf beschränkt, wie sich die sogenannte Teilung Deutschlands auf Themen faktischer und vermeintlicher sozialer und institutioneller Ungleichheit sowie auf Mentalitäten und Ängsten der revoltierenden Besitzstandswahrer:innen auswirkt. Demgegenüber geht es relativ wenig darum, wie die DDR als Gesellschaft funktioniert hat. Deswegen wollen wir den Blick gerade auf die Lebensrealität in der DDR, auf die Funktionsweisen ihrer Institutionen, auf die Bedingungen von Veränderungen im System der Planung und Produktion lenken.

Die DDR war kein einheitliches Gebilde, sondern durchzogen von Konflikten und Widersprüchen. Wir wollen uns damit auseinandersetzen, wie der sozialistische Herrschaftsapparat funktionierte, womit Repressionen begründet wurden und auf welche Widerstände sie stießen. Welche Rolle spielte die Existenz des zweiten deutschen Staates »drüben«? Was ist von den Reformdebatten und -versuchen im Laufe der DDR-Geschichte zu halten? Wie drückte sich der Widerspruch zwischen dem Anspruch, vielleicht ein »Arbeiter- und Bauernstaat« sein zu wollen, aber nicht sein zu können, in der Lebenswirklichkeit einer Arbeiter:in aus?

Unter anderem wollen wir uns mit Arbeits- und Lebensformen sowie den Geschlechterverhältnissen, aber auch mit dem Umgang mit nicht systemkonformen politischen Meinungen & Lebensweisen (z.B. Punks, Anarchist:innen und anderen Oppositionellen) befassen: Was sind Möglichkeiten und Ausdrucksweisen einer Subkultur zwischen »Kahlschlag« und Jeansimport? Gelang es Kunst und Kultur, Zensur und sozialistisch-realistische Formvorgaben schöpferisch zu transzendieren?

Wir wollen uns anschauen, wie die Inszenierung des Antifaschismus & des Gedenkens sowie des (Nicht-)Umgangs mit Rassismus & Antisemitismus in der DDR aussahen und daraus resultierende Kontinuitäten bis heute betrachten. Und nicht zuletzt wollen wir fragen: Was bleibt heute vom Realsozialismus?

Wir laden euch ein, diese und andere Fragen Ende Juli mit uns im Subbotnik in Chemnitz zu diskutieren.