Die Taktik der Taktlosigkeit des Proletariats

Vor- und Nachtrag mit Luise Meier am Samstag, 10.08.2019, 18.30 Uhr

Die Taktik der Taktlosigkeit des Proletariats: Wie läßt sich die Gegenwart mit den Werkzeugen Rosa Luxemburg kontaminieren, stören,
anpacken und umwenden? Was bedeutet es sich nicht als Individuum zu
optimieren, sondern in den kollektiven Lernprozess – auch mit den
Halbverwesten – einzutreten? Wie aktivieren wir die ansteckenden Kräfte,
die von der Wasserleiche im Landwehrkanal ausgehen? Ein Vor – und
Nachtrag mit Luise Meier (MRX Maschine).

Über Luise Meier: http://www.luisemeier.com/

Zu Rosa Luxemburgs Kritik der „nationalen Befreiung“

Vortrag von Olaf Kistenmacher am Donnerstag, 08.08.2019, 11.00 Uhr

Gegen den Imperialismus war die organisierte Arbeiterbewegung schon immer. Aber erst im Anschluss an Wladimir I. Lenins „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ und seine Thesen zur „nationalen und kolonialen Frage“ entwickelte die Kommunistische Internationale in den 1920er Jahren eine antiimperialistische Position und setzte global auf „nationale Befreiungsbewegungen“. Rosa Luxemburg hatte vor dem Ersten Weltkrieg nicht nur eine andere marxistische Erklärung des Imperialismus als Lenin formuliert. Sie hatte auch früh die Vorstellung kritisiert, dass die politische Linke sich für die „nationale Befreiung“ oder das „Selbstbestimmungsrecht der Nationen“ einsetzen sollte. Dabei blieb sie. In ihrer Auseinandersetzung mit der russischen Revolution schrieb sie 1918, dass „die Phrase von der Selbstbestimmung und die ganze nationale Bewegung, die gegenwärtig die größte Gefahr für den internationalen Sozialismus bildet“, durch die Bolschewiki „eine außerordentliche Stärkung erfahren“ habe.

Olaf Kistenmacher, Hamburg, ist Historiker und Journalist. In seiner Dissertation beschäftigte er sich mit antisemitischen Aussagen in der Tageszeitung der KPD während der Weimarer Republik. Veröffentlichung zum Thema: „Selbstbestimmung als Phrase. Rosa Luxemburg als antinationale Marxistin“, in: Jungle World 1, 3. Januar 2014

Link: https://jungle.world/artikel/2014/01/selbstbestimmung-als-phrase

Linie Luxemburg-Gramsci

Vortrag und Diskussion von und mit Peter Jehle am Mittwoch, 07.08.2019, 14.00 Uhr

Für den Schlussabschnitt der Ästhetik des Widerstands notiert Peter Weiss: „Mitgliedschaft in der Partei – dass es eine kleine Partei war, unwichtig. Mitgliedschaft Prinziperklärung – ideologische Zugehörigkeit – Abwesenheit von Zwang und Dogmatismus – Linie Luxemburg-Gramsci – Voraussetzung: Aufklärung der historischen Fehler – die lebendige kritische Wissenschaft, Ablehnung jeglicher Illusionsbildungen, Idealismen, Mystifikationen“ (Notizbücher 1971-1980, Bd. 2, 608). Das ist die einzige Stelle, an der der Ausdruck vorkommt. Er beschreibt nichts, was es ohne weiteres bereits gäbe, sondern formuliert einen Anspruch: Um Zukunft zu gewinnen, muss die Arbeiterbewegung die historischen Fehler, die sie gemacht hat, aufklären. Das gilt 30 Jahre nach dem Fall der Mauer noch immer. Aber inwiefern können da ausgerechnet Luxemburg und Gramsci hilfreich sein? Woran kann angeknüpft werden? Das ist die Leitfrage, der im Vortrag nachgegangen wird.

PDF zur Vorbereitung: Frigga Haug, „Linie Luxemburg-Gramsci“, in: Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus, Bd. 8/I, Hamburg 2012, 1122-1152.

Peter Jehle: Dr. phil., wiss. Mitarbeiter des Instituts für kritische Theorie, Berlin; Mithg. des Historisch-kritischen Wörterbuchs des Marxismus und der Zeitschrift Das Argument; Privatdozent an der Uni Potsdam.

Feministischer  Materialismus  –  Kapitalismuskritik  vom  Küchentisch

Workshop von Carolin Blauth am Donnerstag, 08.08.2019, 14.00 Uhr

Feminismus und Marxismus ist das nicht ein (Neben-)Widerspruch? Nö! In diesem Workshop wollen wir uns mit feministischen Adaptionen der Marxschen Theorietradition beschäftigen und herausarbeiten, welche blinden Flecken feministische Theoretikerinnen identifizieren und wie sie den Marxismus ergänzen. Dabei stehen vor allem folgende Fragen im Mittelpunkt: In welchem Zusammenhang steht die kapitalistische Produktionsweise mit der Unterdrückung von Frauen? Welche Rolle spielt reproduktive Arbeit – also Kochen, Kümmern, Kinderkriegen – im Kapitalismus bzw. in der Marxistischen Gesellschaftstheorie? Anhand von Textauszügen, wollen wir die Grundlinien des feministischen Materialismus nachvollziehen sowie darüber sprechen, welche aktuellen gesellschaftlichen Probleme aus dieser Perspektive hervorgehoben und welche alternativen Gesellschafts- und Lebensweisen präferiert werden.

Carolin hat in Chemnitz, Toulouse und Berlin Sozialwissenschaften studiert und beschäftigt sich vor allem mit Kritischer und feministischer Theorie sowie deren praktischer Umsetzung. Sie hat verschiedene Projekttutorien zu den Themen Widerstand und Selbstorganisation, materialistischer Feminismus sowie feministischer Ökologie an der HU und TU Berlin geleitet und schreibt gerade an ihrer Masterarbeit zu Frauen*streiks.

Der 15. Januar 1919 war ein Mittwoch

Ausstellung von Ute Richter während der ganzen Kantine, Künstleringespräch am Samstag, 10.08.2019, 16.00 Uhr

Zeitungsdruck, 32 Seiten, 2017
Die Zeitung enthält 9 Poster der Künstlerin Ute Richter, den Text „Vorkriegslogik oder Rosa Luxemburg trifft Stanisław Leśniewski“ von Dietmar Dath und als Handreichung den Text „Ein anderes Archiv“ von Britt Schlehahn.
Erschienen im Lubok Verlag, Leipzig

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Was haben gerasterte Pflanzenposter mit aktuellen Tendenzen national motivierter Gewalt zu tun? Diese Frage wird mit der Zeitung künstlerisch gestellt. Mit ihrem Titel „Der 15. Januar 1919 war ein Mittwoch“ will sie an eine alte Geschichte erinnern.

Die Pflanzenmotive für den Zeitungsdruck wurden dem Herbarium von Rosa Luxemburg entnommen. Sie wurde im Januar 1919 ermordet, damit „Deutschland so schnell wie möglich wieder zu Ruhe kommt“. Mit den von ihr gesammelten Pflanzen soll an den Terror von 1919 erinnert werden und damit auch an die Wurzeln aktueller rechtsnationaler Gewaltbereitschaft.

Das Herbarium der deutsch-polnischen Theoretikerin tauchte vor einigen Jahren in Warschau in einem blauen Schuhkarton wieder auf. 18 Hefte mit aufbewahrten Pflanzen und Pflanzenteilen, präpariert, eingeklebt und mit Kommentaren versehen. Die Eintragungen begann Luxemburg im Mai 1913. Im Oktober 1918, drei Monate vor ihrer Ermordung, enden die Notizen. Luxemburg wollte ursprünglich Botanikerin werden. Aus der Beschäftigung mit Pflanzen, mit den Strukturen der Natur, bezog sie immer wieder Kraft.

Bedeutet die Hingabe an Natur und Landschaft schon einen Rückzug oder gar den Verrat des gesellschaftlichen Auftrags? Ein Zitat von Heiner Müller markiert den Kontext der Arbeit und schlägt den Bogen von der Geschichte in die Gegenwart: „Der Terror von dem ich schreibe kommt aus | Deutschland“.

Ute Richter wurde 1964 in Dresden geboren, studierte an der Kunsthochschule Berlin Weißensee, der Hochschule für Bildende Künste Dresden und der Ecole Nationale Suprieure des Beaux-Arts, Paris. Sie lehrt an der TU Dresden im Fachbereich Architektur und lebt in Leipzig.

Foto: Ute Richter

Links des Möglichen

Dienstag, 06.08.2019, 14.00 Uhr – Vortrag mit Elfriede Müller

Links des Möglichen schätzte Walter Benjamin Rosa Luxemburg ein. Das Unmögliche war zu ihrer Zeit die Verhinderung und dann die Beendigung des Ersten Weltkrieges; eine sozialistische Revolution in Deutschland, die durch einen Massenstreik ausgelöst wird und sich von der Sowjetunion in ihrem Demokratieverständnis unterscheidet; die Überwindung einer Spaltung der Linken, die auch für sie persönlich fatale Folgen haben wird; sowie von der Arbeiterinnenbewegung selbst geschaffene Organisationen, die das Leben in die eigenen Hände nehmen und damit die Defensive der Linken in der SPD seit 1905 überwinden. Rosa Luxemburg wollte in finsteren Zeiten emanzipatorische Handlungsfähigkeit herstellen.
Die Agitatorin und Intellektuelle passt weder in das Schema des Marxismus-Leninismus noch in einen zivilgesellschaftlichen Diskurs, der sich am Liberalismus orientiert. Ihre politische Wirkung blieb begrenzt, doch gilt sie nach wie vor als eine der schillerndsten Figuren der Arbeiterinnenbewegung. Dies liegt sicher auch daran, dass sie als Sozialistin ein Leben führte, das nie im Widerspruch zu ihren Ideen stand, und sicher auch an ihrem tragischen Tod. Sie hat als Erste – durch ihre solidarische Kritik an der Russischen Revolution – die enge und notwendige Verbindung von Gleichheit und Demokratie deutlich gemacht. Politik war für sie „befreiende solidarische Praxis“ (Michael Brie). Rosa Luxemburg hat versucht, die Grenzen des Kapitalismus mit der Tendenz zur Überproduktion materialistisch zu erklären, ohne dabei einer Zusammenbruchstheorie zu folgen. Ganz im Gegenteil war für sie der Klassenkampf der Motor eines revolutionären Prozesses, der sich für sie nicht durch eine einfache Übernahme der politischen Macht entscheidet: ein langer und hartnäckiger Kampf für politische Hegemonie.
Ob uns Rosa Luxemburgs Wirken heute für eine linke Politik und Theorie inspiriert, will der Vortrag untersuchen.

Elfriede Müller ist seit ihrem 17. Lebensjahr politisch aktiv, zuerst in der Schüler*innen- und Frauenbewegung, dann in der GIM (Gruppe Internationale Marxisten, trotzkistisch). Mit 23 verschlug es sie nach Paris, um dort in Verlagen und Buchhandlungen zu arbeiten. Parallel war sie bei der LCR (Ligue Communiste Révolutionnaire) aktiv. Im Jahr 1987 ist sie zunächst zum Studieren nach Freibung/Br. (Geschichte und Literaturwissenschaften) gegangen und schloß sich dort den Autonomen Studierenden an. Seit 1993 lebt Elfriede Müller in Berlin, wo sie die jour fixe Initiative Berlin mitbegründete. Veröffentlichungen von ihr finden sich zu linker Ideengeschichte, kritischer Theorie und Roman noir. Zusätzlich ist sie seit 1994 Beauftragte für Kunst im öffentlichen Raum des BBK (Berufsverband bildender Künstler*innen) Berlin und in diesem Zusammenhang Mitorganisatorin für einen künstlerischen Wettbewerb zu Rosa Luxemburg, welcher am Rosa-Luxemburg-Platz realisiert wurde.

Frauen der Novemberrevolution / Kontinuitäten des Vergessens

Mittwoch, 07.08.2019, 18.30 Uhr – Lesung mit Dania Alasti

Frauen protestierten vor hundert Jahren in Massen gegen den Ersten Weltkrieg und das deutsche Kaiserreich. Ihre Streiks, Demonstrationen und Ausschreitungen gehörten zur ersten Welle der Novemberrevolution. Doch während der Formung und Kämpfe um die Richtung der Revolution tauchten Frauen als Massenerscheinung nicht mehr auf.

Das Buch ist eine Suche nach den Spuren, die von den revoltierenden Frauen geblieben sind. In ihren Proteste zeigten sich Konflikte, die in der spezifischen Rolle von Frauen als Versorgerinnen angelegt sind. Ein Unverständnis gegenüber den Konflikten erschwerte die Bildung politischer Organe, in denen diese Frauen ihre Wünsche in Programmen hätten artikulieren können. Stattdessen wurden sie von Zeitgenossen verdrängt und von der Geschichtsschreibung vergessen.

In Erinnerung geblieben ist die unverwechselbare Stimme Rosa Luxemburgs, die den Ersten Weltkrieg nicht nur vehement abgelehnt hatte, sondern ihn als Eskalation der Krise des Kapitals auch vorausgesehen hatte. Bereits die koloniale Gewalt in den afrikanischen Ländern sah sie in einem Zusammenhang zu der Krise der Akkumulation in den europäischen Ländern. Dabei argumentierte sie, dass die kapitalistische Produktionsweise neben der Mehrwertproduktion auf ein vermeintliches Außen angewiesen ist, dem Ressourcen und Arbeitskräfte genommen und Waren verkauft werden können.

Mit den Arbeiterinnen in Deutschland hatte Luxemburg wenig zu tun. Sehr viel später wurde ihre Theorie der fortwährenden Akkumulation aufgegriffen, um die Rolle der Versorgungsarbeit in kapitalistischen Gesellschaften zu analysieren. Diese Analyse sagt nicht nur etwas über die Proteste der Frauen während des Ersten Weltkrieges, sondern erklärt auch Kontinuitäten, Wiederholungen und Brüche bis in die heutige Zeit.

Dania Alasti: Doktorandin an der FU Berlin zum Thema „Gewalt und Frieden“, Autorin von »Der Wille zum Nein. Wie die deutsche Rechtsprechung Betroffenen sexueller Gewalt den selbstbestimmten Subjektstatus verweigert hat« in »Wege zum Nein. Beiträge für eine radikale Debatte nach der Sexualstrafrechtsreform in Deutschland 2016«.

Cover "Frauen der Novemberrevolution"

100 Jahre November – 100 Jahre Konterrevolution

Montag, 05.08.2019, 18.30 Uhr – Lesung und Vortrag mit Klaus Gietinger

„Ich fürchte den Augenblick, da die Masse, die Straße, unter dem Einfluss der Unabhängigen die Durchführung unsren Parteiprogramms von uns verlangt und eine Republik fordert.“ Denn „Deutschland ist nicht reif für eine Republik“ (Friedrich Ebert am 31. Oktober 1918).

Mit Parteiprogramm war das Erfurter Programm der SPD von 1891 gemeint, dass das gleiche und direkte Wahlrecht forderte, die Gleichstellung der Frau, den Achtstundentag und Religionsfreiheit. Hatte Ebert davor Angst? Am meisten Unbehagen dürfte ihm der Teil des Programms bereitet haben, der die demokratische Volkswehr und die Vergesellschaftung der Produktionsmittel, also die Sozialisierung forderte. Das Deutsche Reich hatte den Weltkrieg verloren. Der I. Weltkrieg hatte nicht nur Millionen Opfer gefordert und Abermillionen körperlich und seelisch verkrüppelt, er hatte auch die Partei gespalten. Ebert und Freunde hatten die Kriegsgegner aus Fraktion und Partei geworfen und jene hatten 1917 eine eigene geründet, die Unabhängige Sozialdemokratische Partei: USPD.

Und vor den Rausgeworfenen fürchtete sich Ebert, denn er und seine Genossen im Parteivorstand, meist kleinbürgerlicher Herkunft, hatten sich diesem wilhelminischen Staat angepasst, waren Arbeiterbürokraten geworden, gut versorgt von ihrer Partei und seit dem August 1914 um-schmeichelt von der kaiserlichen Regierung, die ohne die SPD diesen Krieg nie hätte führen können. Ebert fürchtete um seine Karriere. Nur nicht die Macht der Straße zum Zuge kommen lassen, war Eberts Devise. Und deswegen verbündete er sich mit dem preußischen Kriegsminister und noch wichtiger der OHL, die noch ihre Truppen tief in Frankreich stehen hatte. General Groener, der Chef der OHL, rief Ebert in der Reichskanzlei an und versprach ihm, die Truppen nach dem Waffenstillstand (11. November) heimzuführen und dann mit dem „Räteunwesen“ aufzuräumen, wenn sich Ebert mit ihm verbünde. Ebert sagte zu.

Noch heute leugnen der SPD nahestehende Historiker diesen Pakt gegen die Räte. Während Konservative ihn immer wieder positiv hervorheben. In verschiedenen Putschen und durch die Rückführung der Frontruppen – „Kein Feind hat euch überwunden“ (Ebert) versuchte die OHL (in geheimen Einvernehmen mit Ebert) die Räte zu entwaffnen und eine Militärdiktatur zu errichten. Im Januar 1919 kam es zu Massenprotesten: Hundertausende gingen auf die Straße, Zeitungsredaktionen, darunter der „Vorwärts“, wurden besetzt und Karl Liebknecht und Wilhelm Pieck erklärten – gegen den Protest der Führer der Revolutionären Obleute – die Ebert-Regierung für abgesetzt. Der fälschlich als Spartakus-Aufstand bezeichnete Kampf um die Macht entbrannte.

Hauptmann Waldemar Pabst, der Anführer des größten Freikorps, ließ die Gefangenen, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, von seinen Offizieren ermorden. Luxemburgs Leiche wurde in den Landwehrkanal geworfen. Pabst, der nie für seine Tat belangt wurde, war in den 40er Jahren als Waffenhändler in der Schweiz, von wo aus er Nazi-Deutschland mit Tötungsmaschinen versorgte. Zurückgekehrt in die BRD, gab er seinen Offiziersfreunden 1969 „unter uns“ bekannt, dass Noske damals seinen Mordbefehl abgenickt hätte. Wenn ihm der Papierkragen platze, mache er das publik, sehr zum Schaden der SPD. Die stellte im gleichen Jahr ihren ersten Bundeskanzler: Willy Brandt.

Noch heute ignoriert die Historische Kommission der SPD dieses Abnicken. Es wird behauptet, Pabst lüge. Konservative Historiker, die Pabst noch kannten, halten ihn für absolut glaubwürdig. Pabst hatte zudem im März 1919, als es zu einem zweiten Generalstreik und durch Agent Provokateure zu einem zweiten Aufstand kam, Noske einen Befehl untergeschoben: „Jede Person, die mit Waffen in der Hand gegen Regierungstruppen kämpfend angetroffen wird, ist sofort zu erschießen.“ Noske unterschrieb. Dieser rechtswidrige Befehl führte in wenigen Tagen zu 1200 Opfern Berlin und in ganz Deutschland zu 4-5000 Toten.

Noch ist es nicht zu spät. 100 Jahre Revolution mahnen.

Klaus Gietinger (* 28. Februar 1955 in Lindenberg im Allgäu) ist ein deutscher Buchautor, Drehbuchautor, Filmregisseur und Sozialwissenschaftler.

Klaus Gietinger
Foto: Matthias Becker

„Die Gespräche beginnen schon mit einem Missverständnis“

Freitag, 09.08.2019, 18.30 Uhr – Szenische Lesung geschrieben von Kaśka Bryla und Carolin Krahl, vorgetragen von Carolin Krahl

Ein Briefwechsel zur Frage: Was ist links? unter Zuhilfenahme von Emma Goldman und Rosa Luxemburg

Was hat uns politisiert? Auf was berufen wir uns, wenn wir „links“ sagen? Die beiden Autorinnen fragen sich und einander nach den Ursprüngen und der Gegenwart ihrer politischen Überzeugungen und Strategien. Dabei beziehen sie sich auf zwei Frauen, deren Schreiben und Arbeiten für sie wichtig war und bleibt: zwei Frauen, die voneinander wussten, einander jedoch vermutlich nie begegnet sind, und von denen die Autorinnen ein ganzes Jahrhundert trennt. Mit Emma Goldman und Rosa Luxemburg verständigen sich Kaśka Bryla und Carolin Krahl über Anarchismus und Sozialismus, und sie streiten: über und um das, was davon heute (gültig) bleibt, was verschüttet wurde durch die vermeintlich irreversible historische „Niederlage“ der revolutionären Linken.

Halb Lesung, halb Audio, von Werkstattcharakter. Der Text ist nicht abgeschlossen (wie könnte er?).

Kaśka Bryla und Carolin Krahl sind beide Autorinnen und Redakteurinnen von PS: Anmerkungen zum Literaturbetrieb / Politisch Schreiben. Gemeinsam bilden sie ein Lektoratskollektiv.

Rosa Luxemburgs Krisen- und Zusammenbruchstheorie

Vortrag und Diskussion mit Markus Winterfeld am Freitag, 09.08.2019, 14.00 Uhr

Rosa Luxemburgs Krisen- und Zusammenbruchstheorie war sowohl theoretische wie politische Intervention. Die Theoretiker der Sozialdemokratie hatten die von Marx im Kapital Band II aufgestellten Reproduktionsschemata als Beweis genommen, dass die kapitalistische Gesellschaft nie mehr produzieren könne als sie zu konsumieren in der Lage ist. Eine allgemeine Überproduktion wäre daher unmöglich, Krisen entstünden nur aufgrund mangelnder gesellschaftlicher Planung, würden aber mit zunehmender Zentralisierung des Kapitals verschwinden. Produziert der Kapitalismus aber nicht in steigendem Maße Krisen und Verelendung, so entfällt jeder Zwang, ihn abzuschaffen. Es ist daher keinesfalls zufällig, dass alle Versuche, sich im Kapitalismus einzurichten, zuallererst die marxistische Krisentheorie beseitigen müssen, wie Rosa Luxemburg in ihrem ökonomischen Hauptwerk, „Die Akkumulation des Kapitals“, 1913 schrieb:

„Es ist klar, daß, wenn man die schrankenlose Akkumulation des Kapitals annimmt, man auch die schrankenlose Lebensfähigkeit des Kapitals bewiesen hat. … Ist die kapitalistische Produktionsweise imstande, schrankenlos die Steigerung der Produktivkräfte, den ökonomischen Fortschritt zu sichern, dann ist sie unüberwindlich. Der wichtigste objektive Pfeiler der wissenschaftlichen sozialistischen Theorie bricht dann zusammen, die politische Aktion des Sozialismus, der Ideengehalt des proletarischen Klassenkampfes hört auf, ein Reflex ökonomischer Vorgänge, der Sozialismus hört auf, eine historische Notwendigkeit zu sein.“

Der Vortrag stellt Rosa Luxemburgs Krisen- und Zusammenbruchstheorie dar und geht auf die Gegenargumente späterer Marxisten, insbesondere Henryk Grossmanns, ein. Der Vortrag zeigt, dass zwar Rosa Luxemburgs Lösungsversuch der Krisenfrage widerlegt wurde, nichtsdestotrotz ihre Einwände gegen die frühen ökonomischen Darstellungen des Krisenproblems auch auf ihre späteren marxistischen Kritiker zutreffen. Rosa Luxemburgs theoretische Leistung ist daher mitnichten überholt. Der Vortrag schließt mit einigen Thesen, wie im Anschluss an Rosa Luxemburg von der Krisen- auf die Werttheorie zurückgegangen werden muss, um eine theoretische Erklärung der kapitalistischen Krisen zu geben.