Uwe Hirschfeld: Politische Bildung(stheorie) mit Gramsci entwickeln

Mittwoch, 03.08, 15:30

Gramsci verweist im Rahmen seiner Überlegungen zur Hegemonie darauf, dass diese als pädagogisches Verhältnis verstanden werden könne. Damit sind jeglicher Bildungsarbeit politische Positionierungen inhärent. Es bleibt nur die Frage: Agiert man im Interesse der herrschenden Hegemonie oder kritisiert man diese und entwickelt dazu Alternativen, die demokratischer und solidarischer (und nachhaltiger, müssen wir heute ergänzen) sind?

Mit dem Konzept des Alltagsverstandes ist es zudem möglich, den Bildungsprozess alternativer Hegemonien in den Praxen der alltäglichen Lebensbewältigung politisch zu verstehen und didaktisch zu unterstützen. Dabei ist es angebracht, sich ergänzend auch auf andere Überlegungen, wie beispielsweise von Paulo Freire, zu beziehen. Der Vortrag wird die Thematik systematisch entfalten und einige handlungsleitende Thesen für eine kritisch-politische Bildung formulieren.

Uwe Hirschfeld arbeitete bis 2020 mit dem Schwerpunkt »Politische Theorie und Bildung« an der Evangelischen Hochschule Dresden und ist gegenwärtig in erinnerungs- und bildungspolitischen Gremien und Projekten engagiert.

Sabine Kebir: Antonio Gramscis »Zivilgesellschaft«

Mittwoch, 03.08, 13:30

Im Kampf mit dem italienischen Faschismus, der vorhandene demokratische Institutionen zerstörte, schärfte Gramsci den aus liberaler Tradition stammenden Begriff der Zivilgesellschaft radikaldemokratisch – im Sinne einer zunehmenden Selbstorganisation gesellschaftlicher Mehrheiten, die sich perspektivisch immer mehr Kontrolle über die staatliche Politik erobern. Damit war auch die gesellschaftliche Kontrolle der Wirtschaft gemeint. Die Herstellung gemeinnützlicher Institutionen sei aber nicht ohne Kampf, Brüche und Rückschläge erreichbar.

Gramscis Zivilgesellschaftsbegriff setzt sich ab vom noch nicht unaktuell gewordenen Begriff der bürgerlichen Zivilgesellschaft, in der Strömungen dominieren, die die Kapitalherrschaft festigen. In Gramscis Sinne wurde der Begriff der Zivilgesellschaft jedoch in Demokratisierungsbewegungen ehemaliger Kolonien wirksam, z. B. in Algerien. Dort kam es 1988, vor dem Zusammenbruch des Ostblocks zu einem Mehrparteiensystem, Assoziations- und Pressefreiheit, die gegen den aufkommenden islamistischen Totalitarismus in Stellung gingen.

Sabine Kebir hat zu Gramscis Kulturkonzeption promoviert und zu Gramscis Zivilgesellschaft habilitiert. Ihre Arbeiten erfassen die globalpolitische Bedeutung seines Werks.

Dominik Intelmann: Rundgang mit/ohne Gramsci: Chemnitz von hinten

Mittwoch, 03.08, 11:00

Auf dem Stadtrundgang erkunden wir gemeinsam die Rückseiten der Stadt. Uns interessiert dabei das Abseitige, das im Straßengraben gelandet ist: Schlecht vergesellschafteter Realsozialismus; verlorene Arbeitskämpfe der Post-Ost-Zeit; verblasste Hoffnungen des Kapitals und – demgegenüber – die kreative Neuordnung der Stadt seit 2010. Die Konstellation soll greifbar machen, auf welche Weise verschiedenen Klassenfraktionen im lokalen Raum um Handlungsfähigkeit ringen und wie dies den Stadtraum und letztlich das Image der Stadt geformt hat.

Dominik Intelmann lebt in Leipzig und Chemnitz, ist Humangeograph und promoviert zu lokalen Entstehungsbedingungen politischer Hegemonien am Beispiel Leipzigs und Chemnitz.

Start und Ende am Subbotnik, Dauer: 90 Minuten.

Luise Meier: Gramsci und Bogdanow – ein Proletkultklubabend

Dienstag, 02.08, 21:00

Der Proletkult erlebte seine Blütezeit in der Sowjetunion während und nach der Oktoberrevolution, wurde allerdings, nicht zuletzt aufgrund seines Autonomieanspruchs gegenüber der Partei, bereits 1923 mit vorwiegend bürokratischen Mitteln in die Bedeutungslosigkeit gedrängt.

In der Folgezeit und bis heute wird Proletkult oft im Sinne der bürgerlichen Arbeitsteilung und Kunstauffassung missverstanden und auf eine reine Kunstrichtung oder paternalistische Arbeiter*innenbildungsbewegung sozialdemokratischer Prägung reduziert. Lenins beharrliche Polemik gegen Bogdanow, für einen Materialismus der Schule Plechanows und eine Kulturpolitik von oben sorgte außerdem dafür, dass der radikale, revolutionäre und alle gesellschaftlichen Beziehungsformen umbauende Anspruch des Proletkults nachhaltig in Vergessenheit geriet. Für Gramsci und Bogdanow war die Vision einer proletarischen Kultur nichts weniger als der Weg und das Ziel einer Selbsttransformation des Proletariats hin zu einer befreiten Gesellschaft.

Bis heute kramen Forscher*innen in den Archiven auf der Suche nach Hinweisen, ob sich Bogdanow, Begründer des Proletkults, Science-Fiction-Autor und Protokybernetiker und Gramsci je persönlich begegnet sind. Für kommende Proletkultist*innen allerdings ist die entscheidendere Frage, wie wir ihre Strategien mit den Erfahrungen der Geschichte und den Aufgaben der Gegenwart zur revolutionären Maschine verkoppeln. Das Herzstück der Maschine war und bleibt der Abend im Proletkultklub und die kollektive Verdauung in der Kantine…

Luise Meier ist freie Autorin, Theatermacherin, Dramaturgin und Performerin. Zuletzt im Verlag Matthes & Seitz erschienen ist ihr Buch MRX Maschine.

Ankündigung der Kantine »Gramsci« vom 01. bis 07. August 2022

»Wir müssen für zwanzig Jahre verhindern, dass dieses Hirn funktioniert.«

Mit diesen Worten endete 1928 die Anklage des italienischen Kommunisten Antonio Gramsci. 1891 auf Sardinien geboren, war Gramsci bis zu seiner Verhaftung einer der wichtigsten Vertreter der italienischen Arbeiterbewegung und intellektueller Widersacher des Faschismus unter Benito Mussolini. Dass Gramscis Hirn anders als von den Faschisten erhofft auch noch während seiner Haft „funktionierte“, davon zeugen die während dieser Zeit entstandenen Notizen, die bis heute als Gefängnishefte einen prominenten Platz in der marxistischen Theoriebildung einnehmen.

Jenseits von mechanistischen Ableitungen des gesellschaftlichen “Überbaus” aus der ökonomischen “Basis” entwickelt Gramsci in den Gefängnisheften eine Perspektive auf die Kultur, die Ideenwelt und das politische Leben einer Gesellschaft, die diese in ihren jeweiligen Eigenlogiken und ihren Rückwirkungen auf die kapitalistische Produktionsweise ernst nimmt. Möglich wird so eine präzise und detailreiche Analyse des Alltagslebens, des staatlichen Handelns, der kapitalistischen Krisen und ihrer Bewältigung sowie der verschiedenen Klassen und Interessengruppen in einer Gesellschaft.
Mit seinen Überlegungen zur Hegemonie, zur Erziehung und politischen Führung widmete sich Gramsci außerdem strategischen Fragestellungen und beeinflusst bis heute unterschiedliche linke Strömungen im Nachdenken darüber, wie Veränderung überhaupt möglich ist.

Veränderung war zeitlebens auch Ziel von Gramscis politischem Wirken. Als Student nach Turin gekommen, strebte Gramsci während der sogenannten „roten Jahre“ 1919/20 als Autor verschiedener Zeitungen und Mitglied der Partito Socialista Italiano (PSI) den Aufbau einer kommunistischen Massenbewegung an. Mit der Dritten Internationalen, die sich gegen Sozialdemokratie und Reformismus richtete, spaltete sich wie auch in anderen europäischen Ländern die italienische Linke. Gramsci gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Partito Comunista Italiano (PCI) nach sowjetischem Vorbild, deren Vorsitzender er 1924 werden sollte. 

In dieser Zeit, als die italienische Linke interne Kämpfe austrug, erstarkten die faschistischen Kräfte in Italien. Im Oktober 1922 wurde Benito Mussolini nach dem “Marsch auf Rom” zum Ministerpräsidenten ernannt. Gramsci setzte sich in der Folge mit den Fehlern des linken Lagers und der Schwäche des liberalen Staates auseinander. Im Kampf gegen den Faschismus sah Gramsci nun die dringlichste Aufgabe der Arbeiterklasse. Aufhalten konnte das Mussolini nicht, der spätestens ab 1925 totalitär herrschte. In Folge eines Attentat-Versuchs ein Jahr später ließ er die Oppositionsparteien verbieten und schränkte die Pressefreiheit ein. Mit anderen führenden Köpfen der Linken wurde Antonio Gramsci verhaftet. 1937 starb er an den gesundheitlichen Folgen der Haft.

Auf der Kantine wollen wir uns – 100 Jahre nach dem Marsch auf Rom – nicht nur mit dem zeitgeschichtlichen Kontext auseinandersetzen, in dem Gramsci gewirkt hat. Abseits von stichwortartigen Bezügen werden wir uns mit allen Interessierten eine Woche Zeit nehmen, um einen Zugang zu Gramscis Werk zu entwickeln. Wir werden auf dessen weit verzweigte Rezeptionsgeschichte blicken und wollen sein Denken auch als Werkzeug zum Verständnis der Gegenwart und der Möglichkeiten von emanzipatorischem Handeln heute diskutieren.