Vortrag: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit: Benjamins Manifest über die Politik der Massenkultur

Jochen Schmon

Freitag, 28.08., 11 Uhr

„»Fiat ars – pereat mundus« sagt der Faschismus und erwartet die künstlerische Befriedigung der von der Technik veränderten Sinneswahrnehmung, wie Marinetti bekennt, vom Kriege. Das ist offenbar die Vollendung des l’art pour l’art. Die Menschheit, die einst bei Homer ein Schauobjekt für die Olympischen Götter war, ist es nun für sich selbst geworden. Ihre Selbstentfremdung hat jenen Grad erreicht, der sie ihre eigene Vernichtung als ästhetischen Genuß ersten Ranges erleben läßt. So steht es um die Ästhetisierung der Politik, welche der Faschismus betreibt. Der Kommunismus antwortet ihm mit der Politisierung der Kunst.

Aus dem Pariser Exil veröffentlicht Benjamin 1936 seinen berühmt gewordenen Aufsatz über Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Durch Marx sei die industrielle Revolution des Kapitalismus im Bereich der ökonomischen Produktionsbedingungen, so Benjamin in seinem Vorwort, längst erkannt und analysiert worden. Es ist die historische Etablierung einer seriell produzierenden Reproduktionstechnik, die es erstmalig erlaubt, in massenhaftem Umfang standardisierte Produkte herzustellen – und zwar in einer Weise, die immer weniger von der Arbeitskraft des Einzelnen sowie dessen individueller Expertise abhängig ist. Allerdings jedoch seien die gesellschaftlichen Transformationsprozesse, die sich durch die Etablierung dieser Reproduktionstechnologien über das Ökonomische hinaus auch „auf allen Kulturgebieten“ eingestellt haben, noch kaum ins Bewusstsein getreten: die fortschreitende Etablierung der Photographie- und Filmtechnik zu den entscheidenden Mitteln massenmedialer Kommunikation. Es ist das Bild, das von nun an das Bewusstsein der Massen in überragendem Maße prägen sollte. Wie Benjamin jedoch an selbiger Stelle bemerkt, besteht das wesentliche Thema seiner Abhandlung weit über eine rein historisch-deskriptive Analyse hinaus darin – dem Vorbild Marx’ folgend – aus jenen kultur-gesellschaftlichen Veränderungen heraus Begriffe und ästhetische Konzepte ausfindig zu machen, die für„die Zwecke des Faschismus vollkommen unbrauchbar sind“ und gerade deshalb„zur Formulierung revolutionärer Forderungen in der Kunstpolitik brauchbar“ sein müssen. Die Kunst berge nicht nur das Potenzial, sondern sie soll explizit dazu beitragen, die gesellschaftlichen Produktions- und Reproduktionsverhältnisse radikal umzuwälzen, sie soll zur Waffe im Kampf gegen den Faschismus werden – und zwar gerade deshalb, weil ihr vor dem historischen Hintergrund der Etablierung der Reproduktionstechnik zum gesellschaftlichen Massenmedium die ausgezeichnete Rolle zufalle, Massen formieren zu können.

Diesem Versuch einer ästhetischen Neuformulierung eines revolutionären Manifests für das 20. Jahrhundert, wie sie Benjamin in seinem Kunstwerk-Aufsatz erprobte, soll sich dieser Vortrag widmen: „Die Massen haben ein Recht auf Veränderung der Eigentumsverhältnisse; der Faschismus sucht ihnen einen Ausdruck in deren Konservierung zu geben.“

Jochen Schmon hat in München, Berlin und New York Soziologie und Politikwissenschaft studiert und sich in seiner kürzlich abgeschlossenen Masterarbeit mit der politischen Ästhetik Benjamins und Adornos beschäftigt. Als Theoriekurator arbeitet er am Berliner Literaturforum im Brecht-Haus. Im Herbst beginnt er sein Promotionsstudium am Politics Department der New School for Social Research in New York.

Lesung über das Utopische in der „ERFAHRUNG“

Mit Katharina Zimmerhackl und Anne Hofmann von outside the box

Donnerstag, 27.08, 21:00 Uhr

„Wir erfahren den Gegensatz zwischen dem, was sein könnte, und dem, was ist.“

Erfahrung – ist das, als unmittelbar Gegenwärtiges und Alltägliches, nicht das Gegenteil von Utopie? Benjamins erkenntnisleitende Fragestellung, wie sich aus einem verkümmerten Erfahrungsvermögen authentische Erfahrung gewinnen lässt und im Fortgang, welches Potential und welche Schwierigkeiten sie bereithält, lässt die Redakteurinnen der _outside the box – Zeitschrift für feministische Gesellschaftskritik _ in ihrer Lesung aus der aktuellen Ausgabe #7 Antworten auf diese und darin enthaltene Fragen suchen und einen aktualisierenden Blick werfen. Eine (utopische?) _ERFAHRUNG_, die man sich nicht entgehen lassen sollte!

FILM: „Who killed Walter Benjamin“

David Mauas, 2005

Montag, 25.08. 21:00 Uhr

Portbou, 25. September 1940. In einem verzweifelten Versuch dem Naziregime zu entkommen, überquert Walter Benjamin nach sieben Jahren im Exil die Pyrenäen.

Laut offizieller Darstellung überquert Walter Benjamin die spanisch-französische Grenze und erreicht den katalanischen Grenzort Portbou. Eine geänderte Gesetzgebung verbietet ihm jedoch die Weiterreise durch Spanien. Benjamin sieht sich gezwungen, in einer örtlichen Pension zu übernachten – unter der strengen Bewachung dreier Polizisten, die den Befehl erhalten haben, ihn am nächsten Morgen wieder nach Frankreich zu deportieren.
In völliger Verzweiflung nimmt Benjamin eine Überdosis Morphium, die 24 Stunden später zu seinem Tod führt. Während seine Freunde von einem Selbstmord ausgehen, attestiert der örtliche Arzt eine natürliche Todesursache.
Benjamin wird schließlich nach katholischem Ritus und unter falschem Namen in Portbou beerdigt.

Hat der Arzt bewusst die wahre Todesursache verheimlicht? Hat es wirklich eine Änderung in der Gesetzgebung gegeben? War den spanischen Behörden die Identität des „fremden Reisenden“ bekannt? Wusste Benjamin, dass Portbou unter dem Einfluss von Frankisten stand, die auch mit Offizieren der Gestapo kollaborierten?

„Die entscheidende Frage, die der Film des Regisseurs David Mauas aufwirft, `Wer hat Walter Benjamin getötet?‘, ist am Ende keineswegs beantwortet. Eigentlich müsste man sagen, dass sie offener denn je ist, und irgendwie ist das sogar das spannendere Ergebnis, wo sich alle Welt auf die Variante geeinigt hat, Walter Benjamin habe Selbstmord begangen. Für den Argentinier David Mauas, der in Jerusalem Fotografie und Video-Kunst studiert hat und der seit acht Jahren in Barcelona lebt, war es zunächst nur die räumliche Nähe zum Grenzort Port Bou, wo sich der Tod des Denkers ereignete, die ihn an diesem Stoff faszinierte.

`Was mich dann als erstes interessiert hat, war das Potential dieser Geschichte für einen kriminalistischen Film über Benjamin. Er selbst war ein begeisterter Leser von Kriminalliteratur, das wird oft vergessen. Und Benjamin war Erzähler, Reisender, Beobachter. Und ich sagte mir, sollte ich nicht nach Port Bou gehen und in diesem Sinn einen Film machen? Nicht mit den Augen Benjamins – das hätte ich anmaßend gefunden –, sondern mit meinen Augen. Aber sehr wohl mit den Gedanken bei den Texten Benjamins, die ich gelesen habe.‘

[…] Diese filmische Recherche kreist um die Frage, ob man wusste, wer dieser Flüchtling war und ob hinter seinem Tod nicht das Zusammenspiel von Gestapo und Franco-Behörden gestanden haben könnte. Eine wirkliche Antwort wird es wohl nie geben, allein deshalb, weil alle direkt Beteiligten tot sind. Und doch ist dieser Film ein Ereignis, denn er beleuchtet, wie der rätselhafte Tod eines deutschen Denkers einen kleinen Ort in den katalanischen Pyrenäen zum Kreuzungspunkt europäischer Geschichte machte.“ (Gregor Ziolkowski, Deutschlandfunk, 2005)

Vortrag: Der Ausnahmezustand bei Walter Benjamin

Manuel Disegni

Mittwoch, 26.08., 15:30 Uhr

„Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der ‘Ausnahmezustand’, in dem wir leben, die Regel ist. Wir müssen zu einem Begriff der Geschichte kommen, der dem entspricht. Dann wird uns als unsere Aufgabe die Herbeiführung des wirklichen Ausnahmezustands vor Augen stehen; und dadurch wird unsere Position im Kampf gegen den Faschismus sich verbessern“.

Tradition der Unterdrückten meint hier: historischer Materialismus. Es wird dargelegt, wie Benjamin die wissenschaftliche Methode von Marx versteht und warum er denkt, dass sie über die Natur des Ausnahmezustands belehren kann. ‘Ausnahmezustand’ meint hier: eine ganz gewöhnliche Form von Gewalt. Um die Bedeutung der Anführungsstriche zu erläutern wird auf die Kritik an Carl Schmitts Definition des Souvärens („wer über den Ausnahmezustand entscheidet“) eingegangen, die Benjamin im Aufsatz „Zur Kritik der Gewalt“ übt.

Was ein wirklicher Ausnahmezustand sein soll ist die zentrale Frage von Benjamins geschichtsphilosophischer Revolutionstheorie, bzw. von seinem Versuch, Marx´ Programm für das 20. Jahrhundert zu aktualisieren. Inwiefern dieser Versuch „unsere“ Position im Kampf gegen den Faschismus verbessern kann, darüber gilt es auch im 21. Jahrhundert zu diskutieren.

Manuel Disegni hat in Berlin studiert und sich dabei hauptsächlich mit Walter Benjamins Philosophie beschäftigt. Jetzt promoviert er an der Universität Turin über Marx und den Antisemitismus.

Vortrag: In den Straßen von Paris und Berlin – Walter Benjamin, Franz Hessel und die Figur des Flaneurs

Jenny Jung

Donnerstag, 27.08., 18:30 Uhr

Der Vortrag geht mit dem »Flaneur« einer zentralen Figur in Walter Benjamins Werk nach und spürt dabei den biografischen Bezügen sowie der Bedeutung der Figur im Kontext seiner Geschichtsphilosophie und seines chef-d’œuvre, dem Passagen-Werk, nach.
Eine der prägenden Personen für Benjamin war Franz Hessel, den er in Anlehnung an Louis Aragon als „Bauer von Berlin“ bezeichnete und mit dem ihn nicht nur biografische Gemeinsamkeiten verbanden. Ihre Freundschaft hinterließ tiefe Spuren in Benjamins Schaffen und war eng mit seinem Erleben von Paris – der Hauptstadt des 19. Jahrhunderts – und der Figur des Flaneurs verbunden. Gemeinsam arbeiteten sie an einer Übersetzung Marcel Prousts und verbrachten, noch vor dem erzwungenen Aufenthalt, viel Zeit in Paris. Wichtiger ist allerdings, dass Benjamin bei Hessel den Blick für die alltägliche Wirklichkeit der Großstadt erlernte. Hessels Credo »Nur was uns anschaut, sehen wir. Wir können nur –, wofür wir nichts können.« wurde für Benjamin die Basis der Philosophie des Flaneurs. Die Erfahrungsweise dieser Figur machte für Benjamin die tiefgreifenden Veränderungen sichtbar, die sich am Ende des 19. Jahrhunderts im Zuge der Industrialisierung insbesondere an den Pariser Passagen, als dem architektonischen Kernstück des 19. Jahrhunderts, zeigten. Gebunden an diese Architektur, begriff Benjamin den Flaneur als die Existenz auf der Schwelle, die sich sozialgeschichtlich zwischen dem außerdienst-gestellten Aristokrat, der seine Zeit allein mit dem Zurschaustellen der eigenen Person verbrachte, und dem Sandwichmann, der all seine Zeit mit der Veräußerung seiner Arbeitskraft in den Straßen der Großstädte verbringen musste. Dieses einschneidende Moment der Veränderung, hatte für Benjamin nicht nur Konsequenzen für die Möglichkeit von Erfahrung und die Wahrnehmung der Welt, sondern ließ sich letztlich auch auf die Frage der Kunst und die Folgen ihrer Reproduzierbarkeit beziehen. Warum der melancholische Blick auf diesen Umschlagpunkt der Geschichte für Benjamin dennoch Rettung versprach, soll im Vortrag nachgegangen werden.

Jenny Jung ist freie Ausstellungskuratorin und studierte Politische Theorie in Frankfurt am Main und Darmstadt, sowie in Beer Sheva, Istanbul und Konstanz. Sie beschäftigt sich mit Feminismus, Kritischer Theorie sowie dem Nationalsozialismus und seinem Fortwirken. Zurzeit kuratiert sie die Ausstellung „Frankfurt und der Nationalsozialismus“ für das Historische Museum Frankfurt, die 2021 eröffnet wird.

Eine Brecht-Lesung – „Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten“

Mike Melzer

Dienstag, 26.08, 21:00 Uhr

Die titelgebende Zeile von Bertolt Brecht (1898 – 1956) scheint fast prophetisch. Diese, unsere Zeiten brauchen gerade deshalb viel mehr Streitbares, Nachdenkenswertes und Mutmachendes. Und da scheint der widersprüchliche und oft verleumdende Brecht eine reichhaltige Fundgrube seinen “Nachgeborenen” hinterlassen zu haben. Diese Schätze will das Programm heben, um die Zuhörenden anzustacheln, zum Streiten, zum (nach-) Denken und Mut machen zur Solidarität als auch zum Kämpfen für eine gerechte Welt.

Mike Melzer ist Leiter des Arbeitskreises der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Chemnitz, besitzt wahrscheinlich die größte DEFA-Film-Sammlung und liest seit Jahren in Programmen emanzipatorische Dichtung vor.

Vortrag: Walter Benjamin – Was können wir von ihm brauchen, was eher nicht?

Burkhard Müller

Samstag, 29.08., 18:30 Uhr

Mit WB ging es wie mit Kafka: Lange verkannt, galt er als Geheimtipp und gewann endlich den Status nahezu eines Heiligen. Aber Heiligenverehrung ist geistig unergiebig. Es soll hier der Versuch gemacht werden, sein Werk oder jedenfalls Teile davon darauf zu befragen, was damit heute anzufangen wäre, ob stimmt, was er sagt, und warum ja oder nein.

Burkhard Müller ist Dozent für Latein an der TU Chemnitz, Literaturkritiker und Buchautor, lebt seit 1993 in Chemnitz, promovierte in Germanistik zu Karl Kraus.

Vortrag: Von magischen Wortexperimenten bis zur barbarischen Mickey Maus –Walter Benjamin und die Kunstbewegungen der Avantgarde

Daniel Gönitzer

Dienstag, 25.08. 15:30 Uhr

Walter Benjamin kann zweifellos als einer der bedeutendsten Kunst- und Medientheoretiker*innen des 20. Jahrhunderts bezeichnet werden. Dennoch sind seine Beziehungen zur Avantgardekunst, die eine zentrale Rolle in der Herausbildung seiner eigenen materialistischen Kunstphilosophie spielen, im Detail kaum erforscht. Benjamin beschäftigte sich mit nahezu allen Spielweisen der avantgardistischen Kunst seiner Zeit: Kubismus, Expressionismus, Dadaismus, Surrealismus, Konstruktivismus, Bauhaus und Futurismus. Auch Benjamins eigene „avantgardistische Schreibpraxis“, seine Zitat- und Montagetechnik – wie bspw. im Passagenprojekt oder in Einbahnstraße – steht im unmittelbaren Zusammenhang mit den Kunst-Praxen der historischen Avantgarden. Die (avantgardistischen) Künstler*innen werden für Benjamin zu Monteur*innen oder Ingenieur*innen ganz im Sinne des russischen Konstruktivismus. Dabei sieht Benjamin die Montage als eine der grundlegendsten Techniken der Avantgarde. Er ist fasziniert von der Montagekunst der Dadaist*innen, die die Montage in sämtlichen Bereichen der Kunst anwenden. John Heartfields Photomontagen bspw. gelten für ihn als Schanier zwischen Film und Malerei. In meinem Vortrag werde ich veranschaulichen, wie und warum Benjamins Interesse von Malerei und Literatur zu den moderneren Kunstformen Film und Fotografie wechselte. Beeindruckend dabei ist, dass Benjamins Beschäftigung mit dem Film vom russischen Avantgardefilm – Eisenstein und Vertov – bis hin zum amerikanischen Grotesk- und Zeichentrickfilm – Mickey Mouse und Chaplin reicht.

Vortrag: „Das philosophische Quartett“ Adorno, Benjamin, Bloch, Kracauer

Jörg Später

Dienstag, 25.08., 18:30 Uhr

Walter Benjamin sei der merkwürdigste Marxist in einer an Merkwürdigkeiten nicht gerade armen Bewegung gewesen, schrieb die Philosophin Hannah Arendt, die selbst nicht durch Gewöhnlichkeit auffiel. Benjamin war mit ihr während der Pariser Emigrationsjahre befreundet wie auch mit anderen politischen Denkern, so mit Theodor W. Adorno, Ernst Bloch, Bertolt Brecht, Siegfried Kracauer oder Gershom Scholem. Diese Freunde Benjamins waren markante Intellektuelle, zum Teil damals völlig unbekannt. Eines hatten sie gemeinsam: Sie waren entweder radikal im Denken oder sehr eigensinnig – in jedem Fall hoben sie sich ab vom denkerischen Mainstream. Nun sind persönliche Eigenarten und Freundschaften Privatsachen, die uns eigentlich nichts angehen. Doch bei öffentlichen Intellektuellen gilt das nicht im selben Maße, da ihr Denken und Sprechen durchaus von dem mit abhängt, was in ihrem Leben und ihrer Lebenswelt geschieht. Und umgekehrt bestimmt ihre Denkart durchaus mit, welche Freunde sie sich suchen und wie sie ihre Lebenswelt gestalten.
Ich möchte in der Kantine die Geschichte der Freundschaft von Benjamin mit Bloch, Adorno und Kracauer erzählen, und zwar nicht bloß, um den Menschen und die Figur Benjamin in den Augen der anderen aufblitzen zu lassen, sondern um mittels dieses “philosophischen Quartetts” in die damalige Zeit einzutauchen, vor allem was die Weimarer Kulturszene betrifft, die oft beschönigend die Goldenen Zwanziger genannt wird. Die Geschichte der zerbrechenden Freundschaften in den 1930ern wird die fürchterlichen Jahre von Flucht und Emigration spiegeln, die Benjamin im Gegensatz zu den anderen nicht überlebte.

Ich habe Walter Benjamin wesentlich durch Kracauer “kennengelernt”, über den ich eine Biographie (Suhrkamp, 2016) geschrieben habe, studiere die sogenannte Kritische Theorie, zu der Benjamin am Rande gehört, aber seit über 50 Semestern.

Vortragsgespräch: Walter Benjamin und das Institut für Sozialforschung. Eine ambivalente Beziehung

Alexandra Ivanova

Freitag, 28.08. 18:30 Uhr

Walter Benjamins Tätigkeit für das Institut für Sozialforschung, das 1923/24 von Felix Weil et al. in Frankfurt am Main gegründet wurde, ist weithin bekannt und etablierter Teil seiner offiziellen Lebensbeschreibung. Das Institut war die einzige offizielle Institution, zu der Benjamin eine Verbindung fand, und war für seine letzten Jahre im Exil existentiell wichtig, da das Instituts-Honorar seine einzige regelmäßige Einnahmequelle bildete. Zugleich zeichneten sich im Verlauf der Zusammenarbeit Schwierigkeiten ab: inhaltlicher Art, am markantesten ausgedrückt in der Ablehnung des Baudelaire-Essays durch das Institut; aber auch materieller Art, was besonders in den Briefen Benjamins mit Adorno, zu dem er eine schwierige persönliche Beziehung führte, und Horkheimer zunehmend zum Tragen kommt.
In meinem Vortragsgespräch möchte ich zunächst einen groben historischen Überblick über die Etappen der Mitarbeit Benjamins am Institut für Sozialforschung mit Fokus auf seine materielle Situation geben, um anschließend in einem close-reading einiger, aus meiner Sicht relevanter Briefe (mit Adorno, Horkheimer) möglichen Konflikten zwischen Benjamin und dem Institut auf die Spur zu kommen. Welche Lesarten lassen sich entwickeln, wenn wir uns von der tradierten Sichtweise, das Institut hätte alles dafür getan, Benjamins Leben zu retten, frei machen? In welchem Verhältnis sah sich Benjamin zu einzelnen Mitgliedern des Instituts – und welche Erklärungen dafür können aus dem Briefmaterial rekonstruiert werden? Gemeinsam Lesarten zu spinnen und miteinander darüber zu diskutieren, soll Ziel meines als Gespräch angelegten Vortrags sein.

Alexandra Ivanova ist Soziologin, Übersetzerin und Autorin. Als Teil der AG Soziologie des Geistes (Frankfurt am Main) gab sie 2019 den Sammelband „Soziologie des Geistes. Grundlagen und Fallstudien zur Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts“ mit heraus. Ihre aktuelle Forschung (Uwe Johnson-Professur, Uni Rostock) kreist um die Institutionsgeschichte der Frankfurter Schule. Essays u.a. in outside the box, PS – Politisch Schreiben und auf other-writers.de.