Johanna Tirnthal
Dienstag, 24.08., 15:30 Uhr
Bei Revolutionen wird gerne nicht nur der Kalender verändert, es wird auch auf die Uhren geschossen. Geht es dabei nur um den Kampf um weniger Arbeitszeit oder um mehr? Und was haben Frauen*, ihre Körper und die Reproduktionsarbeit damit zu tun?
Dieser Beitrag sucht Antworten auf diese Fragen am Übergang vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit, wo schon Karl Marx, Silvia Federici und Michel Foucault allerlei Interessantes zutage gefördert haben. Irgendwo zwischen 1300 und 1600 setzt sich in Europa das durch, was wir heute als „abstrakten“, „modernen“ Zeitbegriff kennen: Zeit als etwas, das unabhängig von den Ereignissen gleichmäßig im Hintergrund fließt und das mit Uhren gemessen wird. Aber macht die Uhr allein schon die neue Zeit? Der Blick in die Frühe Neuzeit zeigt, dass die Uhren ihren Siegeszug in Europa nur in Verbindung mit der Lohnarbeit antraten. Die neue Zeitform ist untrennbar mit dem verbunden, was Karl Marx die „sogenannte ursprüngliche Akkumulation“ nennt. Diese wiederum betrifft, wie Silvia Federici zeigen konnte, nicht nur den männlichen Lohnarbeiter, sondern auch und gerade die Frauen*, denen am Ende des Mittelalters mit großer Gewalt die Kontrolle über ihre Arbeit und ihre Körper entzogen wird. Vielleicht entsteht mit dem historischen Wissen im Hintergrund ein neuer Blick auf heutige Kämpfe um Zeit?
Johanna Tirnthal ist freie Radio-Autorin, -Regisseurin und Kulturwissenschaftlerin. Sie entwickelt mit ihrem Kollektiv audiokombinat neue Hörformate und gestaltet für Deutschlandfunk Kultur, den WDR und Ö1 lange Radiofeatures über Philosophie, Literatur und soziale Bewegungen. Als studierte Film – und Kulturwissenschaftlerin ist sie irgendwie immer Historikerin im Herzen geblieben. „Prekäre Zeiten“ ist auch der Titel ihrer Masterarbeit aus dem Jahr 2017, auf der dieser Beitrag basiert.