Vortrag mit Judith Dellheim am Freitag, 09.08.2019, 11.00 Uhr
In meinem Vortrag interessiert, wie Luxemburg Marx las und warum z. B. Georg Lukasz 1923 meinte, dass Luxemburg am meisten im Marxschen „Sinne“ sozialistische Politik weitergedacht, sie „seinem Geiste gemäß“ weiterentwickelt (Lukasz, 1923, 43) habe. Zugleich interessiert, was heute aus Luxemburgs Marx-Lektüre gelernt werden kann bzw. sollte. Um auch Lernprozesse bei Luxemburg zu reflektieren, werden nach einer kurzen Vorstellung ihrer Grundidee drei zeitlich gegliederte Absätze angefügt. Sie illustrieren auch die enorme Vielfalt von Themen, zu denen sich Luxemburg, auf Marx gestützt, geäußert hat und münden in ein kurzes Fazit.
Luxemburg war ständig „dreifach“ bei Marx: nicht „nur“ durch ihre wissenschaftliche Marx-Lektüre, wo sie unentwegt fünf Fragen stellte und zu beantworten suchte: Wann hat Marx was warum gesagt? Inwiefern hat das die konkret-historischen Probleme und Entwicklungen erklärt und wie verliefen diese warum mit welchen Folgen? Hat Marx sich selbst kritisiert – und wenn ja, warum? Wie hat er gearbeitet, so dass in ihm, „der scharfe historische Analytiker und der kühne Revolutionär, der Mann des Gedankens und der Tat, unzertrennlich miteinander verbunden waren, einander unterstützten und ergänzten“ (L. 1915/2000, 31)? Aber Luxemburg, die beiden MEGA-Kollektiven bewundernswert vorausgeeilt war, war nicht „nur“ oder vor allem „Marx-Forscherin“. Sie war auch in der politischen Bildung der Genossinnen und Genossen ständig bei Marx und hat eine sechste Frage gestellt und diskutiert: Was von seinen Arbeiten ist wie für die Theorie und praktische Politik verallgemeinerbar? Und erst recht war die Politikerin Luxemburg ständig bei Marx in ihrer Arbeit an der Strategie und Programmatik sozialistischer Politik wie im politischen Alltag. Hier war sie immer mit der Frage befasst, was sofort, kurz-, mittel- und langfristig getan werden kann und muss, um unter den konkreten gesellschaftspolitischen Bedingungen wie Marx zu handeln – das Maximale zu tun, um die historische Möglichkeit einer sozialistischen Gesellschaft als realisierbare zu erhalten und ihr näher zu kommen, und das auch tun! Ausgehend von den zu ihrer Zeit aktuellen theoretischen und politischen Herausforderungen sozialistischer Politik hat sie Marxsches Heran- und Vorgehen fortgesetzt: Sie hat ein humanistisches Menschenbild, ein darauf basierendes Politikverständnis, ein kritisches Forschen, eine auf selbstbestimmtes Denken und solidarisches Handeln zielende politische Bildung, eine selbstkritische Reflektion und einen Neues ermöglichenden Politikstil als zusammengehörig gelebt. Am 15. Januar 1919 brach mit dem Mord an Luxemburg und dem eingeleiteten Terror eine Art und Weise, mit Marx umzugehen und Politik zu betreiben, ab. Die Tatsache, dass dieser „Ariadnefaden“ noch immer nicht wieder aufgenommen ist und dass das nicht einmal intensiv diskutiert wird, erklärt entscheidend unsere politische Defensive. Nehmen wir also endlich diesen Faden kritisch und vor allem selbstkritisch wieder auf!
Judith Dellheim, Dr., Ökonomin, Referentin der RLS für Solidarische Ökonomie, Mitwirkung in den Gesprächskreisen Parteien und Bewegungen sowie Wirtschaftspolitik.